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Donnerstag, 10. November 2022

22-11-10 Bit Penguin

Das Büro steht noch, so wurde mir aus vertrauenswürdiger Quelle versichert. Ich blieb zu Hause, Ich empfing ein Paket mit Unterhosen, gute Nachrichten von der Fernuni und den internen Newsletter, der einem Herzensprojekt von mir in den letzten Wochen einen kleinen Artikel widmet.

Das Büro steht noch ebenso wie der schiefe Kranstumpf daneben. Außerdem: wenn der Kran fällt, dann vermutlich eher auf die Abteilung Finanzen als auf die IT; ich kann morgen wieder zurück an den Sachsendamm.

Der Schock, dass gestern Nachmittag 15 Meter neben mir ein tonnenschwerer Kranausleger auf die Erde stürzte, sitzt immer noch. Auch mit einem Tag Abstand, krass dass anscheinend wirklich niemand etwas passiert. Wahrscheinlich aber stürzte der Kran, als die Welt sich wieder etwas mehr in die normale Umlaufbahn zurückruckelte.

An einem Tag 

- platzt eine weitere große Krypto-Währungsblase. Die zweitgrößte Handelsbörse für Kryptowährungen FTX, implodiert, offensichtlich unter tatkräftiger Mitwirkung der größten Handelsbörse. 

- zieht Russland sich tatsächlich aus Cherson zurück, gesteht also mindestens intern ein wie sinn- und erfolglos der Angriffskrieg ist. 

- hat "Team Crazy" bei den US-Midterms schlecht und vor allem ohne Vorwärtsperspektive abgeschnitten. 

Die Welt am Abend des 9. Novembers 2022 war ein Stück weit mehr meine Welt als die am Abend des 8. Novembers 2022.

Natürlich sind die USA trotzdem politisch ganz anders als Deutschland. Und alleine der Versuch, das ganze anhand deutscher Verhältnisse zu erklären, ist, wie zu sagen: "Der Grand Canyon ist wie die Loreley, nur größer und trockener." 

Vor allem sind die USA vielfältiger. Auch politisch. Ein Ausdruck dessen entdeckte ich heute im New York Magazine. Dort gibt es seit Jahren einen Abschnitt "Lookbook" - Moderedakteure gehen zu einer Veranstaltung und fotografieren Streetstyle. Jetzt waren sie: 

At a Democratic Socialist Convention. 

Und mein:e Lieblingsdemokratische:r Sozialist:in in New York: "Bit Penguin, Electronics modifier, Bensonhurst."

Das New York Magazine war heute sowieso gut für Überraschungen:

Screenshot des New York Magazins mit Aufmacher "Mathias Döpfner, Part Murdoch, Part Musk"


Ein ausufernd ausführliches Porträt des Axel-Springer-Chefs und Politico-Inhabers Mathias Döpfner aus ungewohnter US-amerikanisch-großstädtischer-progressiv-zentristischer Perspektive.

Dem Porträt entnahm ich, dass Döpfer seinem Buddy Musk zuredete, Twitter zu kaufen. Und seitdem glaube ich, dass das ganze Twitter-Debakel nur eine von VW über Döpfner eingefädelte Intrige ist, um Tesla zu schwächen.

Auf Tröt las ich auch Interessantes. Aber dazu später mehr. Noch bin ich zu sehr damit beschäftigt Pumpkin Pie zu backen und auf Vermieter und/oder Heizungsfirma zu warten. Nachdem der Home-Office-Tag dazu verleitete, die Heizung anzustellen, quittierte die Gastherme unter lautem Getöse innerhalb von 20 Sekunden den Dienst. 

Aktuell 17 Grad. Aber ich bin ja seit gestern wohlgewärmter Zopfmusterstrickjackenträger.

Mittwoch, 9. November 2022

22-11-09 Kranfall zu Südkreuz

Action! Sie hält an die Aktion um mich herum. Nachdem ich schon auf dem Treppenhaus einen Trupp Bauarbeiter:innen traf (Wohnung, zweiter Stock, kein Bezug zum Hinterhaus) und dann beim Regenradeln einen Trupp Jogger, der aussah als wäre er Polizei in Ausbildung, hielt der Rest des Tages sein hohes Tempo durch.

Immerhin, einige Sachen scheinen vollendet zu werden.  Ich konnte mich guten Gewissens am Abend in die neue Strickjacke mit Zopfmuster schmiegen konnte. Über Jahrzehnte hätte ich ja Strickjacken mit Zopfmuster als Rentnerkleidung abgelehnt. Aber alleine, dass ich etwas Jahrzehnte lang machen konnte, zeigt, dass ich im Strick-Zopfmuster-Alter angekommen bin.  

Vorher war aber noch der Action-Moment des Tages. Bei dem wir Glück hatten, dass es keine Toten gab. Ein Kran auf der Baustelle neben dem Büro ist abgebrochen. Der Ausleger fiel zu Boden. Soweit wir erahnen können, war es so ein Mobil-Kran-auf-LKW. Das komplette Gebäude bebte. Der abgestürzte Kran-Teil fiel zum Glück auf leeren Grund. Mit etwas Pech hätte es auch das Dach über uns sein können. Soweit wir sehen konnten war niemand verletzt. Nichts außer dem Kran war kaputt. Wie man aus dem Südteil des Büros sehen kann, steht der Fuß des Krans reichlich schief. Gut, dass ich morgen sowieso von zu Hause arbeiten wollte.



Madame bestellte eine Waschmaschine. 

Heute fand eine US-Wahl statt, die im Wesentlichen sagt "Alles bleibt wie es ist." und auch "dieses 'wie es ist' ist echt kompliziert."

Heute hat Russland angekündigt sich aus Cherson zurückzuziehen, wobei Skepsis angebracht ist, ob es wirklich passiert. 

Ist Jubiläum der Deutschen Revolution (104 Jahre), der Pogromnacht (84 Jahre) und des Mauerfalls (33 Jahre).  

So viel Politik auf einmal kann ich textlich nicht verarbeiten. Als Zopfmusterstrickjackenträger fühle ich mich auch nicht mehr verpflichtet, es zu versuchen. 

Mittwoch, 26. Oktober 2022

22-10-26 Jaywalking = Als Fußgänger die Straße überqueren

I'm a sissy. Da hatte ich groß angekündigt, heute Morgen endlich mal ins noch offene Prinzenbad zu gehen, um die lang andauernde Freibadsaison zu feiern: und dann dachte ich um 6:20h "Ist ja schon sehr dunkel und kalt da draußen. Mimimi.". Gar nicht zu kalt zum Schwimmen, aber zu kalt um durch halb Berlin zu radeln, dann zu schwimmen und dann keine Chance zum Aufwärmen zu haben sondern gleich wieder durch halb Berlin radeln müssen. 

Das Karma hat es gehört und mich morgen zu einem anderen Schwimmbadtrip verdonnert. 

Bei den BBB erklomm ich zwischenzeitlich einen wichtigen Karriereschritt und bin nun Brandschutzhelfer. Der ehemalige Leiterbeauftragte wurde zusammen mit der Ableitungs-Leiter abgeschafft, aber den Brandschutzhelfer gibt es noch. Sie köderten mich mit dem Versprechen, dass mir jemand einen Feuerwehrhut besorgt. Gibt es Einleger für das Auto mit der Aufschrift "Brandschutzhelfer im Einsatz?" 

Madame nahm an einer guten Schulung zu Technik teil, die sie nicht nutzen kann. Ich reservierte Weihnachtsmittagsmahlplätze im Kleinen Sand.

Vor vier Tagen noch in Iberty, heute schon in der Bildzeitung: In Schweden werden Radarkamera-Kameras geklaut. 

Ich lernte Neues aus dem Land of the Free. Was dem Deutschen sein Schwarzfahren, ist dem Amerikaner, das Jaywalking - unvorsichtiges Spazierengehen, z.B. Überqueren einer Straße jenseits von Ampeln und Zebrastreifen. Das ist in fast allen Bundesstaaten strafbar und wird dann wiederum natürlich vor allem im Autofahrerparadies Kalifornien durchgesetzt. Die Kriminalisierung des zu-Fuß-Gehens: Respekt. Ähnlich wie beim Schwarzfahren sind die Betroffenen fast ausschließlich arme Schweine, gerne Obdachlose und andere, denen ein paar Tausend Dollar Bußgeld das Leben noch schwerer machen als zuvor. Ich staunte. Aber lange Vorrede: Kalifornien will dieses bizarre Verbrechen abschaffen: Jaywalking is decriminalized in California under a new law. Dann gibt es mit dem Schwarzfahren auch Hoffnung.

Apropos Dekriminialisierung: Hasch wird legal und niemand interessiert's. Dass ich das noch erleben darf.


Bild: Title: Deputy Mayor Henry Scagnoli (seated at right) and unidentified men with jaywalking sign Creator: City of Boston Date: circa 1960-1968 Source: Mayor John F. Collins records, Collection #0244.001 File name: 244001_0150 Rights: Copyright City of Boston
Citation: Mayor John F. Collins records, Collection #0244.001, 
Author: City of Boston Archives, Boston, City of Boston Archives from West Roxbury, United States
This file is licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.

Montag, 18. Juni 2018

Go-go-Musik in Washington, D.C.

Die Boombox boomt. In ihr tönt eine Musikkassette durch das Stadtviertel: eine schlechte Aufnahme mit obligatorischem Rauschen und doch kein Grund den Rekorder nicht noch lauter zu stellen: Drums, Congas, eine Art Freestyle Rap. Rhythm, rhythm, rhythm. Going on and on. So tönte es in den 1980ern und 1990ern durch Washington, D.C. Während sich in der Stadt harDCore entwickelte und in New York City Hip Hop groß wurde, schuf Washingtons Black Community ihre ganz eigene Musik: wie Hip Hop oder Funk oder Synthiepop, nur mit Congas und einer ewig spielenden Percussion. Go-go, Music that is going and going and going.


Graffitto von Cool "Disco! Dan, dem Urgestein der eng mit Go-Go verbundenen Washington-Graffitti-Szene. Bild: Example of the Cool Disco Dan tag. Von: Luc1972 at English Wikipedia Lizenz:  Public Domain. 


Musik geprägt durch einen fast hypnotischen, auf jeden Fall groovigen Groove. Und doch sind diese Sounds aus der Boombox nur ein schwacher Abklatsch dessen, was diese Musik live ausmacht. Go-go ist Livemusik: Funk-Soul-Techno-Rap mit Congas. Entstanden in Washington, D.C. und meine musikalische (Spät-)Entdeckung des Jahres.

Musiktexte sollten am besten mit einer musikalischen Untermalung gelesen werden. Deshalb gleich für den Anfang ein Video, worum es geht:



Es begann mit einer Schlachteplatte


Freitag, 22. September 2017

Kleinstadt-Antifa, 1994

Lebensverändernde Momente suchen sich unerwartete Orte. Zum Beispiel wird man Antifaschist nahe des Mississippi-Rivers, nicht unweit von Elvis Presleys Anwesen „Graceland“; bei 30 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, während man eingeklemmt in eine Stuhl-Tisch-Kombination noch kurz vorher einen Werbespot für Mountain Dew gesehen hat.

Hückeswagen - Islandstraße 48 ies
Bild: Hückeswagen - Islandstraße 48 ies 
Von: Frank Vincentz 
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Freitag, 2. Dezember 2016

Alabama Crimson Tide ist das beste Footballteam der Welt

Blaue Flecke allüberall. An den Händen, den Unterarmen und erst recht an den Oberarmen. Erst an der Schulter wird es besser. Dort ist das Shoulder Pad. 32 Grad Anfang Oktober, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Ich stehe auf einer Rasenfläche in South Haven, Mississippi, Südstaaten, USA. Schwer atmend, blaue Flecken zählend und auf der Suche nach dem Gatorade. Der Zustand nach zwei von vier Stunden des täglichen Trainings.



Lange Jahre hatte es gebraucht, bis ich meine Football-Begeisterung ausleben konnte. Bereits zehn Jahre vorher als Junge in der Grundschule hatte ich nachts vor den Fernseher geschlichen, um beim Superbowl die Niederlage der Cincinatti Bengals gegen die San Francisco 49ers mit Joe Montana zu erleben. Zu meinem großen Leidwesen gewann das falsche Team. Denn – ich war jung – Cincinattis Helme im Tigerstreifendesign waren ja wohl das coolste, was es an Sportkleidung gab. Seitdem verfolgte ich den Football. Aber erst Mississippi, die große verschwitzte Umkleidekabine, das Feld, das Laufen-laufen-laufen und noch mehr-laufen, ließ aus dem Interesse eine Obsession werden.

Mittwoch, 20. Mai 2015

Campaigning gold: Demon sheep

This awesome political ad is already some year old, but I discovered it just recently. Carly Fiorina, who ran this ad some years ago, now wants to become president of the United States. Time to rediscover the classics:



And in case you actually want to know some background: Here an article on the director: The man to credit—or to blame—is Republican media consultant Fred Davis, the closest thing political advertising has to an auteur. Unlike just about any political media guru out there, Davis embraces weirdness.

Freitag, 17. Januar 2014

Traktorfreitag: Camerons Stovetop-Smoker

Eine der Eigenschaften an Blogs, die ich sehr schätze, ist die Eigenschaft, sie als ausgelagertes Notizbuch nutzen zu können. Zum Beispiel kann man Blogs nutzen, um interessante Links zu notieren, und gleichzeitig den gesamten Rest der Menschheit an diesen Links teilhaben zu lassen. Zum Beispiel an diesen Links hier:


* Slow Cooked Pork

* Tea Smoked Duck Breasts 

* Tea Smoked Duck 

* Smoker Recipes

* Cooking with a Stovetop Smoker 

Nun wird sich der eine oder andere Fragen. Das ist ja nett. Aber wrum sollte die gesamte Menschheit sich dafür interessieren? Und wo sind die Traktoren. Aber gemach. Ich fürchte, ich muss etwas länger ausholen, Wie ich ja ab und an am Rande erzähle, habe ich mal länger in den Südstaaten der USA gelebt.

Der Südstaaten der USA ist tatsächlich sehr anders als Deutschland. Er ist natürlich auch sehr anders, als jedes Vorurteil, dass man in Deutschland über die USA und insbesondere den Süden dort hat. Manchmal war es eher befremdlich:



Manchmal war es ziemlich cool:



Was mir aber tatsächlich vor allem in Erinnerung blieb, ist dieser lange, schwüle Sommer. 25 Grad normal im März, und es wird nur noch wärmer. Draußen kann man es sich eigentlich nur noch am See liegen, auf die Baumwollfelder schauen, und ab und an apathisch etwas Sand durch die Gegend werfen:

Freitag, 12. Oktober 2012

Samstag, 29. September 2012

Darummagichmaine (I)

Die ersten Fotos aus dem Sommer sind auf Commons gelandet:

Gulf of maine whale watching 08.07.2012 22-29-31

Gulf of maine whale watching 08.07.2012 21-54-57

Bath maine innenstadt 09.07.2012

Brunswick crawfords lobster house 10.07.2012 02-39-22

Gulf of maine whale watching 08.07.2012 23-43-05

Brunswick pennellville historic 10.07.2012 14-54-07

Brunswick pennellville historic feld 10.07.2012

Popham beach state park 09.07.2012 23-22-01


Samstag, 10. März 2012

Long read für das Wochenende: US-Präsidentschaftswahlen

Und der beste Text zum Thema, an den ich mich dieses Jahr erinnern kann. Über die Primaries, den Wechsel im politischen System der US durch offene Vorwahlen, die Änderungen der republikanischen Party in den letzten Jahrzehnten, und natürlich auch über die aktuellen Vorwahlen. Nicht neu, aber immer wieder spannend: die fundamentalistische Rechte der Republikaner profitiert dabei massiv von Entwicklungen im politischen System, die linksliberale Progressive des frühen 20. Jahrhunderts und Vietnamgegner der 68er durchgesetzt haben.

Ryan Lizza/The New Yorker: Life of The Party: Can the G.O.P. save itself?

Dienstag, 7. Juni 2011

Sarah Palin, Perez Hilton und Stephen Colbert reiten durch Wikipedia-Diskussionsseiten. Mit Musketen.

Washington Crossing the Delaware by Emanuel Leutze, MMA-NYC, 1851

Wie der ein oder andere Leser vielleicht mitbekommen hat, ist offensiver Patriotismus in den USA durchaus weit verbreitet. Der Geschichtsunterricht kann sich dem nicht entziehen. Sicher wiederkehrende Themen eines jeden zweiten Schuljahres sind große Präsidenten (Lincoln, Washington, Jefferson, die doppelten Roosevelts, Reagan), die Gettysburg-Adress, Theodore Roosevelt und der Big Stick, und natürlich der amerikanische Unabhängigkeitskrieg.

Sherpherd aulos Louvre G536

Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg wird durch ein ikonisches Bild und ein ikonisches Gedicht vermittelt. Wieder und wieder und wieder und wieder. Das Bild wie George Washington, den Fluss Delaware überschreitet, und das Gedicht wie der tapfere, einsame Reiter Paul Revere, die amerikanischen Kolonisten in Massachusetts vor den anrückenden Briten warnt. (Winter, kalt, einsam, tapfer, mutiges Individuum..). Das ist Grundschul- Mittelschul und Highschool-Stoff.(*)

So through the night rode Paul Revere;
And so through the night went his cry of alarm
To every Middlesex village and farm,—
A cry of defiance, and not of fear,
A voice in the darkness, a knock at the door,
And a word that shall echo for evermore!
For, borne on the night-wind of the Past,
Through all our history, to the last,
In the hour of darkness and peril and need,
The people will waken and listen to hear
The hurrying hoof-beats of that steed,
And the midnight message of Paul Revere.

Sarah Palin nun in Boston im Fernsehen, Revere warnte die Briten, sich nicht mit Amerikanern anzulegen, und verwandelte den Propheten des Aufstands flugs in ein Gangmitglied mit halbgaren Drohungen. In einem Themenfeld, in dem jeder Grundschüler sich besser auskennt als Palin. Soweit so trivial so gewöhnlich. Bei jemand, dessen Appeal darin liegt, dass die "einfachen Leute" sich mit ihr identifizieren können, gehört ein löchriges Geschichtsbild eher zum Konzept. Zumal das "korrekte verbreitete Geschichtsbild" das aus dem Gedicht, und auch nicht korrekt ist. Nur sollte man die historischen Fehler nicht in dem Bereich machen, wo jedes Grundschuldkind mitreden kann.



Die Medien freuten sich wie jedesmal, wenn sie skandalöses über Palin berichten konnten, die Palin-Fans regten sich über die Medien auf, woraufhin sich die Medien über die Palin-Fans.. Da es aber diesmal um historische Wahrheit geht, gibt es ja mittlerweile eine allgemein anerkannte Instanz für diese: Wikipedia! Sofort danach begannen Palin-Fans den Revere-Artikel zu ändern, und die Palin-Version in den Rang der Wahrheit zu erheben. Danach dann begannen nicht Palin-Fans sich als Palin-Fans auszugeben, und mehr Unsinn zu schreiben, während unter den Wikipedianern sofort eine Grundsatzdiskussion ausbrach. Wenig erfolgreich natürlich, aber dabei ein wunderschönes Beispiel an Wiki-Diskussionen abgebend.

Und wir reden ja von Palin, alles äußerst auffallend, und zur Freude der Medien. Während die am Wochenende schon ausführlich über Palin-Revere berichten durften, konnten sie gleich Palin-Revere-Wikipedia nachliefern. Zur Freude von Andrew Sullivan, und The Atlantic, und HuffPo, und Slate der New York Times und Perez Hilton.

Stephen Colbert hat nun wiederum ein unterhaltsames Reenactemet des Revere-laut-Palin-Rides durchgeführt, sich über die "Hardcore-Fact-Addicts" bei Wikipedia aufgeregt und dazu aufgerufen statt des mittlerweile gesperrten Revere-Artikels doch den über Glocken zu bearbeiten. Der Artikel ist mittlerweile auch gesperrt. Woraufhin die Medien wieder über die Glocken und Colbert, hach, es ist ein lustiges Ballspiel.

An dem ich mich natürlich gerne beteilige: Morgen folgt hier die minutengenaue Analyse wer wann wie editiert hat. Conservapedia hat natürlich die Palin-Version zu Paul Revere.

Und nebenbei, Michele Bachmann wird sich gegen irgendeinen langweiligen Rep-Mann den Vorwahlkampf-Showdown liefern aber letztlich verlieren. Sarah wer?


(*) Übrigens tatsächlich schwer einen für Deutschland verständlichen Vergleich zu finden. Während die US-Staatsräson ist "wir sind toll", ist die Deutsche "wir sind keine Nazis"; jeder halbwegs passende Vergleich zur Geschichtspolitik involviert Nazis, und wird schnell unappetitlich.

Freitag, 29. Oktober 2010

Frei wie Arial. Schriften ohne Urheberrecht.

Eine Welt ohne Urheberrecht ist möglich. Beispielsweise wenn man Koch ist, oder Witzeerzähler, oder Magier, oder Schriftendesigner. Mit den aufkommenden Diskussionen um die Grundsätze des Urheberrechts wendet sich die Wissenschaft dankenswerterweise auch den bisher eher unbeachtet gebliebenen Randbereichen zu. Nachdem ich hier letztens schon die Studie zu Stand-Up-Comedians erwähnte, gibt es auch eine zu Schriftendesign:

Blake Fry: WHY TYPEFACES PROLIFERATE WITHOUT COPYRIGHT PROTECTION. In: J. ON TELECOMM. & HIGH TECH. L. [Vol. 8]

Zumindest in den USA, wo Herr Fry forscht, sind diese Schriften urheberrechtsfrei. Trotzdem, oder laut Fry eher deswegen, besteht eine lebendige Szene, die in den letzten Jahrzehnten stark angewachsen ist. Das Angebot an Schriften ist nie so groß gewesen wie heute, und auch im Vergleich zu Europa - wo ein Schutz existiert - geht es ihr sehr gut.

Fry skizziert wirklich ausführlich und interessant die Entwicklung der Schriftentwicklung, die Zeit ihres Bestehens immer an ein anderes Medium gebunden war. Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein war der mechanische Aufwand der Typenproduktion so groß, dass der eigentliche Design-Prozess kaum ins Gewicht fiel. Als im späten 19. Jahrhundert die ersten maschinisierten Reproduktionsmöglichkeiten entstanden waren die Schriften ein Zusatz der von den großen Druckmaschinenherstellern nebenbei angeboten wurde. Heute wichtigster Auftraggeber für Schriften ist Adobe, die mit diesem Geschäftsfeld kaum Gewinn machen, aber die benutzen um die bekannten Softwareprogramme zu verkaufen.

Er beschreibt die Probleme, die es macht, Original und Fälschung zu bestimmen, wenn mindestens an Textschrift enge funktionale Anforderungen existieren, die real benutzten Textschriften zudem alle auf Vorbilder zurückgehen, die größtenteils mehrere hundert Jahre alt sind. Ein rechtlicher Schutz würde sich kompliziert gestalten, selbst wenn er erwünscht wäre. Fry beschreibt aber auch, warum die Schriftendesigner trotzdem aktuell prosperieren.

Zum einen sieht er soziale Normen als wichtige Regelungskonstante in dem Bereich. Der reale professionelle Markt ist klein und übersichtlich, ein bekannter Plagiator würde schnell alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit verlieren. Dabei existieren vor allem zwei Normen: keine vollständige 1-1 Kopie, und wo andere Ideen einfließen müssen diese benannt werden. Auf Kundenseite - vor allem bei Graphikdesignern - existieren ähnliche Normen, jedoch sind diese deutlich schwerer durchzusetzen.

Die technische Entwicklung macht zudem neue Schriften notwendig. Je nach Anwendungszweck sind leicht verschiedene Ausführungen einer Schriftidee notwendig, die technische Entwicklung hat die Zahl möglicher Anwendungen exponentiell größer werden lassen, so dass auch der Bedarf an Schriften steigt. Zudem ermöglicht die Technik auch Leuten das Schriftdesign, die noch vor einigen Jahren an hohen finanziellen und technischen Einstiegshürden gescheitert wären. Während die Zahl, und vermutlich auch der Anteil, schlechter Schriften gestiegen ist, ist auch die Zahl guter professioneller Schriften in die Höhe geschossen.

Zudem unterliegt Schrift, ähnlich wie Mode, Geschmackszyklen, die eine ständige Reproduktion und Neuerfindung notwendig macht. Einst beliebte Werbeschriften fallen aus der Mode, neue Schriften sollen neuen Zeitgeist transportieren, Werbetreibende versuchen über eine originelle Schrift aus der Menge herauszufallen.

Sollte Schrift also verrechtlicht werden, sieht Fry wenig Gewinn. Die Gefahr besteht, dass starre rechtliche Regeln die zu aller Zufriedenheit arbeitenden sozialen Normen zerstören, und vieles was an Kreativität und Innovationskraft in der Szene besteht, aushöhlen. Der Europa/USA-Vergleich zeigt, dass der schwächere Schutz keineswegs für eine geringere Produktivität sorgt, im Gegenteil steigert er Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Wobei auch Fry einräumen muss, dass im Gegensatz zu vielen Kunstmärkten die Gewinnchancen gering sind. Ähnliche wie diese Winner-takes-it-all-Märkte betreibt der größte Teil der Beteiligten das Geschäft mit minimalem Gewinn. Während allerdings erfolgreiche Komiker oder Musiker Reichtümer anhäufen können, reicht es selbst bei Schriftgestalter-Stars nur zu einem sicheren Auskommen.

Und da wiederum liegen die kleineren Schwächen an Frys Text. Der Europa/USA-Vergleich wird eher postuliert als bewiesen, auch wenn er generell so wirkt als könnte er mit einem educated guess die Lage einschätzen. Seine Erfolgsbilanz des schwächeren Schutzes bezieht sich nur auf die Vielfältigkeit der Schriftgestaltung, nicht auf die ökonomische Situation der Gestalter, die er normativ außen vor lässt. Die Frage, ob beispielsweise ein stärkerer Schutz auch die Verhandlungsposition der Gestalter gegenüber Adobe oder Apple stärken könnte, stellt er gar nicht erst.

Dennoch insgesamt ein inspirierender Text, der ein weitgehend im Schatten liegendes Feld der Geistigen-Eigentums-Debatte beleuchtet, und mir bisher unbekannte Aspekte ausführt, bzw. andere Studien bestätigt.

Und am Rande: ich habe selten einen Text eines Juristen gelesen, der derart von einem Enthusiasmus für sein nichtjuristisches Empirisches Thema durchdrungen war. Ich habe mindestens ebensoviel über die Anforderungen an Schriftgestaltung im Metallsatz, komische Onlinediskussionen, die Erwerbssituation begeisterter Hobbyisten und ähnliches erfahren wie über die Ökonomie des Urheberrechts.