Dienstag, 7. Juni 2011

Sarah Palin, Perez Hilton und Stephen Colbert reiten durch Wikipedia-Diskussionsseiten. Mit Musketen.

Washington Crossing the Delaware by Emanuel Leutze, MMA-NYC, 1851

Wie der ein oder andere Leser vielleicht mitbekommen hat, ist offensiver Patriotismus in den USA durchaus weit verbreitet. Der Geschichtsunterricht kann sich dem nicht entziehen. Sicher wiederkehrende Themen eines jeden zweiten Schuljahres sind große Präsidenten (Lincoln, Washington, Jefferson, die doppelten Roosevelts, Reagan), die Gettysburg-Adress, Theodore Roosevelt und der Big Stick, und natürlich der amerikanische Unabhängigkeitskrieg.

Sherpherd aulos Louvre G536

Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg wird durch ein ikonisches Bild und ein ikonisches Gedicht vermittelt. Wieder und wieder und wieder und wieder. Das Bild wie George Washington, den Fluss Delaware überschreitet, und das Gedicht wie der tapfere, einsame Reiter Paul Revere, die amerikanischen Kolonisten in Massachusetts vor den anrückenden Briten warnt. (Winter, kalt, einsam, tapfer, mutiges Individuum..). Das ist Grundschul- Mittelschul und Highschool-Stoff.(*)

So through the night rode Paul Revere;
And so through the night went his cry of alarm
To every Middlesex village and farm,—
A cry of defiance, and not of fear,
A voice in the darkness, a knock at the door,
And a word that shall echo for evermore!
For, borne on the night-wind of the Past,
Through all our history, to the last,
In the hour of darkness and peril and need,
The people will waken and listen to hear
The hurrying hoof-beats of that steed,
And the midnight message of Paul Revere.

Sarah Palin nun in Boston im Fernsehen, Revere warnte die Briten, sich nicht mit Amerikanern anzulegen, und verwandelte den Propheten des Aufstands flugs in ein Gangmitglied mit halbgaren Drohungen. In einem Themenfeld, in dem jeder Grundschüler sich besser auskennt als Palin. Soweit so trivial so gewöhnlich. Bei jemand, dessen Appeal darin liegt, dass die "einfachen Leute" sich mit ihr identifizieren können, gehört ein löchriges Geschichtsbild eher zum Konzept. Zumal das "korrekte verbreitete Geschichtsbild" das aus dem Gedicht, und auch nicht korrekt ist. Nur sollte man die historischen Fehler nicht in dem Bereich machen, wo jedes Grundschuldkind mitreden kann.



Die Medien freuten sich wie jedesmal, wenn sie skandalöses über Palin berichten konnten, die Palin-Fans regten sich über die Medien auf, woraufhin sich die Medien über die Palin-Fans.. Da es aber diesmal um historische Wahrheit geht, gibt es ja mittlerweile eine allgemein anerkannte Instanz für diese: Wikipedia! Sofort danach begannen Palin-Fans den Revere-Artikel zu ändern, und die Palin-Version in den Rang der Wahrheit zu erheben. Danach dann begannen nicht Palin-Fans sich als Palin-Fans auszugeben, und mehr Unsinn zu schreiben, während unter den Wikipedianern sofort eine Grundsatzdiskussion ausbrach. Wenig erfolgreich natürlich, aber dabei ein wunderschönes Beispiel an Wiki-Diskussionen abgebend.

Und wir reden ja von Palin, alles äußerst auffallend, und zur Freude der Medien. Während die am Wochenende schon ausführlich über Palin-Revere berichten durften, konnten sie gleich Palin-Revere-Wikipedia nachliefern. Zur Freude von Andrew Sullivan, und The Atlantic, und HuffPo, und Slate der New York Times und Perez Hilton.

Stephen Colbert hat nun wiederum ein unterhaltsames Reenactemet des Revere-laut-Palin-Rides durchgeführt, sich über die "Hardcore-Fact-Addicts" bei Wikipedia aufgeregt und dazu aufgerufen statt des mittlerweile gesperrten Revere-Artikels doch den über Glocken zu bearbeiten. Der Artikel ist mittlerweile auch gesperrt. Woraufhin die Medien wieder über die Glocken und Colbert, hach, es ist ein lustiges Ballspiel.

An dem ich mich natürlich gerne beteilige: Morgen folgt hier die minutengenaue Analyse wer wann wie editiert hat. Conservapedia hat natürlich die Palin-Version zu Paul Revere.

Und nebenbei, Michele Bachmann wird sich gegen irgendeinen langweiligen Rep-Mann den Vorwahlkampf-Showdown liefern aber letztlich verlieren. Sarah wer?


(*) Übrigens tatsächlich schwer einen für Deutschland verständlichen Vergleich zu finden. Während die US-Staatsräson ist "wir sind toll", ist die Deutsche "wir sind keine Nazis"; jeder halbwegs passende Vergleich zur Geschichtspolitik involviert Nazis, und wird schnell unappetitlich.

2 Kommentare:

snotty hat gesagt…

beleg bitte mal, dass sich "jeder Grundschüler" in den USA besser auskennt als palin.

palins erfolg beruht nicht zuletzt darauf, dass sie nicht mal so tut als sei bildung ein kulturgut, was bei the great unwashed extrem gut ankommt.

und so sehr ich jon stewart mag, so sehr werfe ich ihm vor, einer reihe von volldeppen auf die bühne geholfen zu haben, vor allem carrell und colbert. ersterer macht ausgesprochen ärgerliche faith-based filme, letzterer hält sich für einen satiriker, ist aber keiner, weil sein publikum nicht das niveau hat, satire als solche zu erkennen.

dirk franke hat gesagt…

Generell belegen lässt es sich nicht. Die Sache mit Paul Revere ist aber einfach: der ist Schulstoff bis zum Erbrechen. Und an Schulstoff, der maximal zwei Jahre her ist, erinnert man sich einfach deutlich besser als an jenen von vor 20 Jahren. Zu Hermann dem Cherusker würde ich im Zweifel auch nurmehr die Variante hinkriegen, die in Gladiator aufgeführt wurde.

Und Palins Erfolg beruht glaube ich darauf, dass man da Instantmeinungen haben kann + die US-Medien schon gemerkt haben, dass polarisieren mehr Engagement bringt als langweilien.