Freitag, 29. Oktober 2010

Frei wie Arial. Schriften ohne Urheberrecht.

Eine Welt ohne Urheberrecht ist möglich. Beispielsweise wenn man Koch ist, oder Witzeerzähler, oder Magier, oder Schriftendesigner. Mit den aufkommenden Diskussionen um die Grundsätze des Urheberrechts wendet sich die Wissenschaft dankenswerterweise auch den bisher eher unbeachtet gebliebenen Randbereichen zu. Nachdem ich hier letztens schon die Studie zu Stand-Up-Comedians erwähnte, gibt es auch eine zu Schriftendesign:

Blake Fry: WHY TYPEFACES PROLIFERATE WITHOUT COPYRIGHT PROTECTION. In: J. ON TELECOMM. & HIGH TECH. L. [Vol. 8]

Zumindest in den USA, wo Herr Fry forscht, sind diese Schriften urheberrechtsfrei. Trotzdem, oder laut Fry eher deswegen, besteht eine lebendige Szene, die in den letzten Jahrzehnten stark angewachsen ist. Das Angebot an Schriften ist nie so groß gewesen wie heute, und auch im Vergleich zu Europa - wo ein Schutz existiert - geht es ihr sehr gut.

Fry skizziert wirklich ausführlich und interessant die Entwicklung der Schriftentwicklung, die Zeit ihres Bestehens immer an ein anderes Medium gebunden war. Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein war der mechanische Aufwand der Typenproduktion so groß, dass der eigentliche Design-Prozess kaum ins Gewicht fiel. Als im späten 19. Jahrhundert die ersten maschinisierten Reproduktionsmöglichkeiten entstanden waren die Schriften ein Zusatz der von den großen Druckmaschinenherstellern nebenbei angeboten wurde. Heute wichtigster Auftraggeber für Schriften ist Adobe, die mit diesem Geschäftsfeld kaum Gewinn machen, aber die benutzen um die bekannten Softwareprogramme zu verkaufen.

Er beschreibt die Probleme, die es macht, Original und Fälschung zu bestimmen, wenn mindestens an Textschrift enge funktionale Anforderungen existieren, die real benutzten Textschriften zudem alle auf Vorbilder zurückgehen, die größtenteils mehrere hundert Jahre alt sind. Ein rechtlicher Schutz würde sich kompliziert gestalten, selbst wenn er erwünscht wäre. Fry beschreibt aber auch, warum die Schriftendesigner trotzdem aktuell prosperieren.

Zum einen sieht er soziale Normen als wichtige Regelungskonstante in dem Bereich. Der reale professionelle Markt ist klein und übersichtlich, ein bekannter Plagiator würde schnell alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit verlieren. Dabei existieren vor allem zwei Normen: keine vollständige 1-1 Kopie, und wo andere Ideen einfließen müssen diese benannt werden. Auf Kundenseite - vor allem bei Graphikdesignern - existieren ähnliche Normen, jedoch sind diese deutlich schwerer durchzusetzen.

Die technische Entwicklung macht zudem neue Schriften notwendig. Je nach Anwendungszweck sind leicht verschiedene Ausführungen einer Schriftidee notwendig, die technische Entwicklung hat die Zahl möglicher Anwendungen exponentiell größer werden lassen, so dass auch der Bedarf an Schriften steigt. Zudem ermöglicht die Technik auch Leuten das Schriftdesign, die noch vor einigen Jahren an hohen finanziellen und technischen Einstiegshürden gescheitert wären. Während die Zahl, und vermutlich auch der Anteil, schlechter Schriften gestiegen ist, ist auch die Zahl guter professioneller Schriften in die Höhe geschossen.

Zudem unterliegt Schrift, ähnlich wie Mode, Geschmackszyklen, die eine ständige Reproduktion und Neuerfindung notwendig macht. Einst beliebte Werbeschriften fallen aus der Mode, neue Schriften sollen neuen Zeitgeist transportieren, Werbetreibende versuchen über eine originelle Schrift aus der Menge herauszufallen.

Sollte Schrift also verrechtlicht werden, sieht Fry wenig Gewinn. Die Gefahr besteht, dass starre rechtliche Regeln die zu aller Zufriedenheit arbeitenden sozialen Normen zerstören, und vieles was an Kreativität und Innovationskraft in der Szene besteht, aushöhlen. Der Europa/USA-Vergleich zeigt, dass der schwächere Schutz keineswegs für eine geringere Produktivität sorgt, im Gegenteil steigert er Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Wobei auch Fry einräumen muss, dass im Gegensatz zu vielen Kunstmärkten die Gewinnchancen gering sind. Ähnliche wie diese Winner-takes-it-all-Märkte betreibt der größte Teil der Beteiligten das Geschäft mit minimalem Gewinn. Während allerdings erfolgreiche Komiker oder Musiker Reichtümer anhäufen können, reicht es selbst bei Schriftgestalter-Stars nur zu einem sicheren Auskommen.

Und da wiederum liegen die kleineren Schwächen an Frys Text. Der Europa/USA-Vergleich wird eher postuliert als bewiesen, auch wenn er generell so wirkt als könnte er mit einem educated guess die Lage einschätzen. Seine Erfolgsbilanz des schwächeren Schutzes bezieht sich nur auf die Vielfältigkeit der Schriftgestaltung, nicht auf die ökonomische Situation der Gestalter, die er normativ außen vor lässt. Die Frage, ob beispielsweise ein stärkerer Schutz auch die Verhandlungsposition der Gestalter gegenüber Adobe oder Apple stärken könnte, stellt er gar nicht erst.

Dennoch insgesamt ein inspirierender Text, der ein weitgehend im Schatten liegendes Feld der Geistigen-Eigentums-Debatte beleuchtet, und mir bisher unbekannte Aspekte ausführt, bzw. andere Studien bestätigt.

Und am Rande: ich habe selten einen Text eines Juristen gelesen, der derart von einem Enthusiasmus für sein nichtjuristisches Empirisches Thema durchdrungen war. Ich habe mindestens ebensoviel über die Anforderungen an Schriftgestaltung im Metallsatz, komische Onlinediskussionen, die Erwerbssituation begeisterter Hobbyisten und ähnliches erfahren wie über die Ökonomie des Urheberrechts.


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