Donnerstag, 14. Oktober 2010

Kurzrezension Rauf Ceylan - Die Prediger des Islam

Islamisten bauen in Deutschland keine Moscheen, weil sie aus dem Land der Ungläubigen eigentlich so schnell weg wollen wie möglich (wenn nur nicht die Gläubigen in lauter Diktaturen lebten in denen gefoltert wird..), türkische Imame finden ungezogene Jugendliche noch schlimmer als es deutsche Lehrer tun, glauben aber dass die deutsche Gesellschaft gute disziplinierte Jugendliche verdorben hat.

Mit etwas Pech wird einem beim Freitagsgebet in Neukölln ausführlich vorgerechnet, wieviel Almosen ein Bauer pro Hektar zahlen muss. Türkei-Türken, die Deutschland-Türken treffen, haben oft den Eindruck, eine Zeitreise in die 1970er zu unternehmen.

Soweit ein paar der interessanteren Erkenntnisse, die aus der Lektüre von Rauf Ceylans "Die Prediger des Islam" gewonnen hab. Ceylan selbst ist Religions- und Sozialwissenschaftler, und hat für seine Studie bewundernswerterweise das Vertrauen von einer Anzahl Imame verschiedenster Moscheen und Gemeinschaften gewonnen.

Sein Buch ist wohltuend unaufgeregt, der Autor hat offensichtlich tiefen Einblick in das Thema. Er zeichnet so ein vielfältiges Bild islamischer Kultur in Deutschland. Er vermittelt so den dringend gebrauchten Einblick in den Alltag der deutschen Moscheen - oft problematisch, aber doch weit entfernt von den Pauschalierungen, die den Diskurs so oft beherrschen.

Er schildert die Probleme von Imamem, die meist aus dem Ausland kommen und selber meist mehr Probleme haben sich in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden, als ihre Gemeindemitglieder; den Konflikt zwischen liberaleren-westlich/deutscheren Jungen und traditionellen Gastarbeitern, die in den 1960/1970ern nach Deutschland kamen, und oftmals die Moscheevereine beherrschen. Die Entfremdung, die so in den Gemeinden entsteht, die Probleme, die besonders die oft abgeschottenen Männer-Cafes bereiten, und die prekäre Lage fast aller Imame, die nicht fest im türkischen Staatsdienst stehen. Er schildert mühsame Modernisierungsbemühungen, und den Versuch Gemeinden auf eine Art und Weise zu betreuen, die der Umgebung angemessen ist.

Erschreckend die Interviews mit den Imamen, die Ceylan selbst als Neo-salafitisch beschreibt, oft Autodidakten, nur demokratiefeindlich mag man das nicht mehr nennen, und das einzig etwas beruhigende Fakt aus Sicht eines Deutschen, ist dass sie die "falschen (verwestlichen) Muslime" für deutlich geeignetere Ziele im bewaffneten Kampf halten als die gänzlich Ungläubigen.

Ein kleiner Nachteil: Ceylan ist Vertreter eines progressiven Islam, der sich in einer engen Abstimmung mit dem deutschen Staatswesen entwickeln soll. Das ist an sich nicht das schlechteste Ziel, und von den Handlungsempfehlungen, die er am Ende aus seiner Studie zieht, hat er mich überzeugt. Dass er aber das quasi Buch hindurch quasi niemand unkommentiert sprechen lassen kann, ohne auf die Irrungen dieser Meinung hinzuweisen, ist ein bißchen anstrengend..

"Neo-Salafiten", umgangssprachlich wohl als Islamisten bezeichnet, intellektuell auszuhebeln hat ein bißchen den Schwierigkeitsgrad wie in Twitter eine Massenhysterie auszulösen. Da das Zielpublikum dieses Buches auch noch kaum in den abgeschotteten Hinterhofmoscheen liegen dürfte, und deren Besucher zudem jede Menge von Ceylans Prämissen nicht anerkennen würden, ist das ein bißchen eine fruchtlose Übung, die im Zweifelsfall unnötigerweise nur betont, wie gemäßigt Ceylan doch selber ist.

Zum Laizismus und dem kooperativen Verhältnis zwischen Staat und Kirche andererseits habe ich beispielsweise eine dezidiert andere Auffassung als Ceylan, und fühle mich dezent bevormundet, wenn er auf einer halben Seite mal kurz einschiebt, warum die gar nicht stimmen kann.

Das fällt aber eher in die Rubrik kleinlicher Stilkritik. Insgesamt ist das Buch sicher eines der lesenswertesten zur deutschen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, das ich in den letzten Jahren gelesen habe.

Keine Kommentare: