Montag, 9. April 2018

Ex-Bad. Baden in der Schwimmhalle Holzmarktstraße.

Hier steht ein Original. Hier steht das Original. In Friedrichshain steht die älteste Volksschwimmhalle Typ C der Welt. Und die einzige dieses Bautyps, die noch weitgehend im Originalzustand vorhanden ist. Ursprünglich war die Halle hier nahe der Spree erst die dritte gebaute Halle des Typs. Allerdings sind die ersten beiden entweder dem Abrissbagger zum Opfer gefallen (Weinstraße/Friedrichshain) oder rotten seit Jahren geschlossen vor sich hin (Pankow). Was nimmt es Wunder, dass auch die Dritte Halle, nämlich diese, zu den Sommerferien schließt und vermutlich nie wieder öffnet.

Noch aber lässt sich der Typ in seiner vollen Blüte betrachten. In vielerlei Hinsicht steht in Friedrichshain der Höhepunkt dessen, was die DDR je an Schwimmbädern auf die Beine gestellt hat.

Neben dem Typ-B-Bad am Baumschulenweg ist die Schwimmhalle in der Holzmarktstraße die einzige Berliner Halle, die im Inneren unverändert aus der DDR der 1970er bei uns angekommen ist. Immerhin wurde sie noch nicht abgerissen, aber auch noch keiner Sanierung für würdig befunden. Dennoch: die Zeit, die Halle noch zu sehen, ist knapp, die Chance kommt niemals wieder.



Allerdings haben die Berliner Bäder diese Besichtigung nicht einfach gemacht. Fast nur geöffnet wird die Halle für Vereins- und Schulschwimmer und auch für diese wird das Bad immer gerne einmal überraschend geschlossen.

Für Normalsterbliche ist die einzige Zugangsmöglichkeit das Frühschwimmen. Sprich: ich musste zwei Mal morgens um kurz vor Sieben aus Schöneberg kommend in Friedrichshain angekommen sein, damit sich das Schwimmen noch lohnt. Dafür hatte ich bei alen Besuchen überraschend brauchbare Laune, bis ich ankam.


Wobei die offensichtliche Nichtbeachtung der Schwimmhalle Holzmarktstraße durch die Berliner Bäder drollig ist: Die Schwimmhalle liegt fast in Sichtweite des Ostbahnhofs, nicht unweit des Radialsystems V. des yaams der o2-Arena und - eine U-Bahn-Station entfernt - des RAW-Geländes. Die Innenstadtspree ist fast zu riechen. Auch wenn es angesichts der Brache(*) und Plattenbauten direkt um das Bad nicht so aussieht – das Bad liegt inmitten einer der heißesten und hippsten Gegenden Berlins.

Zwischen Alexanderplatz, Ostbahnhof, Radialsystem und Zalando an der Spree. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL).


Zum Glück sehen die Berliner Bäder das anders, haben uns ein gänzlich unhippes, leicht vergessenes und angestaubt-solides Bad in Friedrichshain hinterlassen.

Gebäude


Das Bad selbst ist einer der früheren Bauten der Modellreihe C (siehe auch „Fischerinsel“, „Anton-Saefkow-Platz“, „Sewanstraße“, „Hennigsdorf“). Wie immer gehört zum Bad ein Neubaugebiet. Im Norden und Westen stehen die obligatorischen Plattenbauten. Im Süden hingegen verläuft eine gefühlt 12-spurige Straße (die Holzmarktstraße), im Osten liegt eine gigantische Brachfläche, deren Ausmaßen nach dort vorher ein komplettes Fabrikgebäude hätte stehen können. Jetzt entwickelt sich dort Sukzessionsnatur, was eigentlich ein sehr netter Anblick ist.



Zwischen Schwimmbad und Brachfläche liegt noch eine kleine Halle, wie die Halle selbst mit VT-Dachfalte (heute anscheinend Lager, früher Sporthalle?). Mehrere Foodtrucks stehen dort in den Morgenstunden herum.

Umkleiden/Duschen 


Ganz im Originalzustand ist auch diese Halle nicht mehr. Die Umkleidekabinen - Sammelumkleiden mit wenigen Einzelumkleiden in einem unauffällig-hellen Kunststoff - scheinen mir schon deutlich Nachwende zu sein, sind ähnlich wie die neueren Kabinen in vielen Ostberliner Bädern und als solches nicht weiter auffällig.

Die Duschen sind Old School: viel heißes Wasser auf einmal, sehr sympathisch, dafür muss man alle drei Sekunden auf den Knopf drücken – oder halt eine Technik entwickeln wie man gegen den Duschknopf gelehnt trotzdem noch was vom Wasser abbekommt.

Schwimmhalle 


Ist es ein Museum? Nein? Ist es ein Wohnzimmer? Nein! Ist es eine Schwimmhalle im 70er-Jahre-DDR-Zustand? Ja. Ich bin hin und weg. Diese Mischung aus der Eleganz, die Schwimmhalle C ja eigentlich hat und so einer ganz eigenen DDR-Biederkeit, durch die Jahrzehnte auch noch vor sich hin-patiniert.

Wie in allen Typ-C-Hallen liegen ein Schwimmbecken und ein Nichtschwimmerbecken hintereinander. Auch für Frühschwimmen ungewohnt: es sind wirklich alle Bahnen geleint. Am besten schaut man vorher von Außen, auf welcher Bahn noch Platz ist und wo die anderen Schwimmer von Stil und Tempo ungefähr in die eigenen Ansprüche passen.

Die Kabine für das Personal liegt typtypisch an der Seitenwand auf der Höhe, wo sie Schwimmer- und Nichtschwimmerbecken sehen konnten. Beim Frühschwimmen allerdings sitzen die extrem freundlichen und netten Männer immer am anderen Ende, weil sie auch noch die Kasse bedienen müssen.

Vom Mehlbeerenweg aus einmal die Halle umrunden. Oder an der Holzmarktstraße entlang. Blau = Wasser. Orange = Umkleiden / Sanitär Gelb = Schwimmmeister. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL).


Die Decke ist von unten gerade mit den Schallschutzelementen, denen man hier ihre 40 Jahre Lebenszeit gut ansehen kann. Die Fensterfassade groß und aus Glas. Von hier aus bietet sich ein Ausblick in das 70er-Jahre-Wohngebiet. Die Deko an der einen Wand: ein Orange-Gelb-Braunes Muster, dessen Farbe vor Vergilbung eher zu raten ist. Die Lampen, ebenfalls ein ziemlich orange scheinendes 70er-Jahre-Gestell.

Mein Liebling ist aber dieser Beckenrand. Die Überlaufrinne die übliche Unterarmlänge unterhalb des Beckenrandes – halt Old School, ziemlich schmal und nicht um das gesamte Becken laufend. Die Querseiten mit den Startblöcken und gegenüber hatten diese nicht.

Das Beste ist der Teil, an dem man sich festhält und abstützt: der ist aus Stein und nicht aus Kacheln oder Metall. Was sich zum einen besser anfühlt und zum anderen auch besser aussieht als die beiden anderen Materialien.

Publikum 


Frühschwimmen meets Friedrichshain. Menschen, die um vor 7 aufstehen um ins Schwimmbad zu kommen, wissen generell was sie machen und Friedrichshain an sich ist ja eher von jüngeren, sportlichen Menschen bewohnt.



Wobei ich auch sagen muss, die Atmosphäre in der Holzmarktstraße strahlte weder dieses Ey-ich-schwimm-dich-über-Haufen aus, noch Mein-Startup-meine-Wichtigkeit, wie ich sie in Mitte und Prenzlauer Berg schon erlebt habe. Das war durchaus ambitioniert hier und gekonnt, aber auch bei meinen beiden Besuchen entspannt, locker und einladend.

Gastronomie 


Ein Süßigkeitenautomat, ein Kaffeeautomat (Lavazza), der Espresso gut trinkbar.

Sonstiges 


Ach, Friedrichshain, was ist aus Dir geworden. Der Ortsteil war immer ein Berliner Schwimmzentrum. Mit dem Bad an der Schillingbrücke von 1892 stand hier das zweite Hallenbad in Berlin überhaupt (nach Moabit) – lange verschwunden. Das Friesenstadion im Volkspark Friedrichshain noch lange Nachkriegsjahrzehnte eines der prägendsten Schwimmbäder der DDR – verschwunden. Die Schwimmhalle Weinstraße. Die erste Volksschwimmhalle C überhaupt. Der Höhepunkt des DDR-Typenbaus – abgerissen, ersetzt durch einen Aldi. Nur noch diese Halle ist übrig. Und sie stand auf der Kippe als ich das Bad besuchte. Jetzt ist sie wohl auch metaphorisch heruntergefallen.

Anmerkungen


(*) Bei der Brache handelt es sich um den Standort der ehemaligen Gaslaternenfabrik Julius Pintsch. Allein diese wäre einen eigenen Besuch wert und Artikel wert.

Fazit 




Dieses orange Schummerlicht. In seiner Musealität das Ostberliner Gegenstück zum Kombibad Mariendorf. Ohne 50 Meter Bahn, dafür auch mit weniger klaustrophischen Kabinen einem schon irgendwie cool-urbanen Umfeld und durchgehend freundlichen Menschen. Vor 7 Uhr in Friedrichshain anreisen ist halt nur nicht so prall, wenn man in Schöneberg wohnt.. ach wenn doch die Berliner Bäder auch den Friedrichshainern mal ein echtes Bad gönnen würden.

Weiterlesen


Mit dem Abrissbeschluss steht noch die zweite Beschreibung einer Fast-Ex-Halle in Iberty. Bereits geschlossen ist das Bad am Brauhausberg, ebenfalls ein Bau der Ostmoderne. Der wurde immerhin erst geschlossen, als der Neubau schon stand. In Berlin wird das wohl wieder - wir schließen, dann überlegen wir 10 Jahre wie wir damit umgehen und dann sehen wir weiter.

Und überhaupt geschlossene Bäder in Berlin. Die Übersicht aller in Berlin seit 1990 steht unter Keine Schwimmbäder nah und fern: Abgänge.

Die BZ berichtet jetzt auch über die drohende Schließung und steuert noch ein paar Fotos aus dem notdürftig geflickten Untergrund des Beckens bei.

Um nicht nur zu weinen: eine Schwimmhalle C in vollem sanierten Glanz steht auf der Fischerinsel: Schwimmhalle Fischerinsel.

Und alle Iberty-Schwimmbadbeschreibungen finden sich unter: Schwimmbäder nah und fern: Ausblick und Rückblick.

2 Kommentare:

THE BLACKBERRY hat gesagt…

Hi
I'm an architecture student researching about this building. Do you know if its possible to find drawings of this place? In general i'm interested in information, books or history on this place.

-Iben

dirk franke hat gesagt…

Hi Iben,

great that somebody cares about these buildings. They seem quite forgotten and finding any kind of source is difficult. I did write about all the type C pools in my blog. A bit more about the different types of East German pools is in https://www.iberty.net/2017/06/b-c-oder-d-eine-bestimmungshilfe-fur.html A longer text in an architecture magazon of the GDR was in the GDR magazine ""Architektur der DDR" 1977-2 S. 78-81.". In a blog post you can see an old picture of Holzmarktstrasse https://www.iberty.net/2018/04/schwimmbad-friedrichshain-nein.html

If you write me a mail to southpark@wikipedia.de I could reply with a few snips I have about the pool Weinstrasse (the first Type C) that I cannot publish due to copyright. Good luck with your research! ANd tell me if the research had some results.