Montag, 27. September 2010

#cpov - Öffentlichkeit und Offenheit

Wie schon kurz angebloggt, hat Peter Haber auf seinem Blog seinem Mißfallen über einiges Verhalten der Wikipedianer bei der CPOV-Konferenz Ausdruck verliehen.

Mit Habers zweitem Punkt: "So gab es in den Diskussionen wie auch in den Tweets und Blogposts hauptsächlich zwei Reaktionstypen: Entweder, dass der Beitrag zu wenig mit Wikipedia zu tun habe oder aber dass er nichts Neues bringe." würde ich mich deutlich mißverstanden fühlen und dachte, ein "das hätte ich gerne schriftlich" wäre ein gewisses Indiz für weitergehendes Interesse. Aber das Thema ist umfassend genug, um beizeiten einen eigenen Beitrag zu rechtfertigen.

Also erstmal der formale Punkt, Habers Mißfallen über den "anonymen Blogger", der im "hämische[n] Pennälerton" Äußerungen von sich gibt, "die man unter guten Kollegen in der Kaffeepause macht", überhaupt gab es über Twitter eine "Art von Feedback [...], die bisher nicht im öffentlichen Raum ausgehandelt wurde – zumindest nicht in denjenigen akademischen Kontexten, die ich kenne."



Die Frage der Anonymität haben wir, glaube ich, geklärt: Dirk Franke, Berlin, steht unter dem Beitrag, oder bei Twitter, in Leizig mit Namensschild, der im Blog durchaus bewusst auf die auffallende hellblaue Laptoptasche hingewiesen hat, die auch auf weitere Entfernung als Erkennungszeichen taugte. Ob ein Wikipedianer auf einer Konferenz über Wikipedia "ein Außenstehender" ist, ich fürchte das Thema liegt wirklich jenseits einer möglichen Einigung.

Nun kann ich natürlich über Legitimität streiten, dass ich einerseits als Wikipedianer theoretisch Gefahr laufe mit dem Schlechtesten meiner 10.000 Diskussionsbeiträge - dem von 3 Uhr Nachts als ich wegen Liebeskummer nicht schlafen konnte - im akademischen Kontext als besonderes Beispiel eines Rüpels an die Wand gebeamt zu werden. Dass andererseits aber die akademischen Kontexte für sich in Anspruch nehmen, selbst die Vortragstechnik bei einem seit Monaten bekannten öffentlichten Aufritt, der offensichtlich gefilmt wird, sei off the record.

Nun ja, Pennälergeschwätz. Ich gebe zu, ich habe als Student viele Stunden, Tage Wochen.. darunter gelitten, dass Vortragstechnik anscheinend etwas ist, über das man unter ernsthaften Akademikern nicht spricht. Andererseits bin ich ja von Hause aus Politologe und habe ganze Seminare darüber absolviert, welcher amerikanische Präsident bei welcher Ansprache wann auf seine Uhr geschaut hat, und wie das die späteren Wahlen beeinflusste. Selbst in Leipzig bei CPOV selbst ging es ja inhaltlich teilweise um aufwendige Präsentationsformen, um die Awareness zu erhöhen. Ich fürchte das Verständnis von öffentlicher Diskussion ist heutzutage da generell eher nicht dort, wo die akademischen Gepflogenheiten sind.

Was mich nun wieder wundert: dass die Internetforschung (!) anscheinend nicht dort ist, dass Forscher vor einer großen Menge aufgeklappter Laptops sitzen - die bekanntermaßen WLAN haben; und dass diese Internetforscher dann nicht automatisch annehmen, dass über diese Laptops - jetzt - kommuniziert wird. Ich gebe zu, die Entwicklung gibt es noch nicht lange und sie ist ungewohnt. Aber wir waren ja auch nicht bei einer Altorientalistikkonferenz.. Da bewundere ich tatsächlich die radikale Außensicht, möchte aber zugeben, dass meine generelle Kompetenzvermutung gegenüber der Wissenschaft einen kleinen Stoß bekommt.

Große Transparenz und eine umfassende Öffentlichkeit sind tatsächlich eine harte Erfahrung, wenn man sich regelmäßig in Wikipedia engagiert. Sollte da nicht auch kleine Transparenz und eingeschränkte Öffentlichkeit für den akademischen Kontext zumutbar sein, wenn er sich mit Wikipedia beschäftigt?

6 Kommentare:

AndreasP hat gesagt…

"zumindest nicht in denjenigen akademischen Kontexten, die ich kenne" - bei diesem Satz fiel auch mir nur ein: Der Mann kann niemals studiert haben...

dirk franke hat gesagt…

Unvergessen der Beginn einer Vorlesung eines C4-Professors: "Ich werde ihnen heute die Seiten 32 bis 57 dieses UTB-Taschenbuchs vorlesen.."

Anonym hat gesagt…

Warum sollte es eigentlich sinnvoll sein, dass alle Wissenschaftler mit Laptops rumsitzen? Gerade bei Vorträgen lenkt es mich extrem ab, wenn ich ein Kommunikationsmedium aktiv habe. Twitter, Facebook, Blogs, Chats und was auch immer haben ihre Berechtigung, aber wenn ich einem Vortrag zuhöre oder einer Diskussion, dann muss ich auch nicht gleich mittwittern. Mich lenkt das nur ab - und das sagt noch nichts über den technischen Stand einer Disziplin.

Tolanor hat gesagt…

volle zustimmung zur kritik an den wissenschaftlichen gepflogenheiten der vortragskunst. dasselbe übrigens gerade auf dem historikertag; selbst die gewitzteren gelehrten, denen man es eigentlich zugetraut hätte, haben nicht frei vorgetragen. ich gelobe hiermit mal, dass ich es später anders machen werde :)

dirk franke hat gesagt…

Ich denke wir diskutieren hier über verschiedene Fragen, und sollten aufpassen nicht den technischen Stand der Disziplin an unterschiedlichen Kriterien beurteilen zu wollen.

Mir ging es ja durchaus nicht darum, dass jeder während eines Vortrags twittern sollte oder nicht - ich persönlich bin Schriftmensch, kann mit Texten meist mehr Anfängen als mit Reden, mache Notizen und die Frage ob ich die privat oder öffentlich mache ist da eher sekundär; aber das muss nicht sein und natürlich muss niemand einen Laptop aufklappen.

Aber wenn jemand das Internet erforscht, denke ich, ist der Anspruch gerechtfertigt, dass er sich dort prinzipiell bewegen und es einordnen kann. Ob und inwieweit man am Untersuchungsgegendstand teilhaben kann/muss/sollte ist eine Frage, die ja in allen Sozialwissenschaften kontrovers diskutiert wird. Aber dass man seine Umgebung generell einordnen und lesen kann, und nicht von ganz natürlichem Alltagsverhalten vor den Kopf gestoßen wird - das würde ich schon verlangen, ohne nicht Zweifel am Expertenstatus zu bekommen.

dirk franke hat gesagt…

Tolanor,

es gibt allerdings auch ein paar Probleme. Der im Post angesprochene Politiker hat ja nicht nur das Problem mit der Uhr; der läuft auch Gefahr die nächsten drei Wochen in der Mitte eines Mediensturms zu stehen, falls er Ausversehen die falsche Metapher benutzt oder sich andernweitig unglücklich verspricht. In so einer Situation ist es tatsächlich fast unmöglich frei zu sprechen, wenn man nicht große Gefahren eingehen will.

Nun unterliegen Wissenschaftler oder Teilnehmer des Historikertags erfahrungsgemäß keiner solchen intensiven Aufmerksamkeit. Aber wie schnell passiert es, dass man Kommunikation statt Interaktion sagt, Struktur statt Organisation, und je nach theoretischem Zusammenhang und Grundlagen des Vortrags hat man das Gegenteil von dem gesagt, was man Aussagen wollte. Wobei natürlich auch gilt: je Anspruchsvoller der Vortragstext desto leichter ist die Chance sich zu vertun und desto größer ist die Fallhöhe.

Ich versuche ja auch immer frei zu sprechen wo ich kann, aber es ist schon nicht komplett ohne Risiko.