Dienstag, 4. April 2017

Schwimmbäder nah und fern: Charlottenburg, Neue Halle

Das Stadtbad Charlottenburg ist zwei Schwimmbäder. Die beiden Bäder stehen nebeneinander, haben sonst ber nicht viel miteinander zu tun. Das eine Bad nennt sich die Alte Halle – ein wilhelminisches Volksbad in voller Pracht, und das älteste Bad Berlins. Das andere Bad nennt sich Neue Halle - ein funktionaler 70er-Jahre Bau, dessen Errichtung den Auftakt zu einer ganzen Reihe nahe-identischer Bäder (Mariendorf, Spandau-Süd, Gropiusstadt, Wedding, Märkisches Viertel, Tiergarten) bildete. Ich nenne ihn den Komibadtyp.

Ursprünglich sollte die Neue Halle die Alte Halle ersetzen und die Alte Halle abgerissen werden. Neue Zeiten brachen an. Ganz West-Berlin sollte große, lichte 50-Meter-Becken bekommen und von den dunklen wilhelminischen Schwimmbrätern erlöst werden. Die Berliner sahen das anders. Die Neue Halle wurde gebaut, der Abriss der Alten Halle konnte (anders als zB iin Moabit) durch Bürgerproteste verhindert werden.



Demnach haben wir in Charlottenburg heute die kuriose Situation zweier Schwimmhallen, die nebeneinander stehen, eine bauliche Verbindung haben, vom selbem Betreiber betrieben werden und doch nach Außen hin komplett unterschiedliche Schwimmbäder sind.



Neue und Alte Halle sind architektonisch getrennt, der Übergang von einer zur anderen für Publikum nicht möglich. Beide Hallen haben getrennte Eingänge, getrennte Öffnungszeiten und getrennte Preise. Gast, stehst Du davor, dann frage dich: Möchtest du in wilhelminischer Pracht baden oder in sachlicher Frugalität schwimmen?

Okay, normalerweise stellt man sich die Frage nicht mehr, wenn man vor den Bädern steht. Da wir hier bei den Berliner Bädern sind, besteht nur in seltenen Ausnahmefällen der Fall, dass beide Hallen offen haben. Mal hat die eine offen, mal die andere, mal sind bei der einen nur Vereine zugelassen und bei der anderen nur schwangere Senioren. Welches Bad man benutzt, hängt weniger von den eigenen Wünschen ab, sondern mehr von der Tages- und Uhrzeit, zu der man zum Schwimmen kommt,.

Dabei herrscht zwischen den beiden Bädern eine klare sachliche Aufteilung: alles was mit Baden oder mit Wellness im weitesten Sinne zu tun hat, landet in der Alten Halle. Alles was mit Sport zu tun hat, landet in der Neuen Halle.

Heute geht es mal um Sport und damit um die Neue Halle. Während an den anderen Kombibad-Standorten jeweils Hallen- und Freibad zusammenkamen (deshalb „Kombi“bad) gibt es hier nur eine Halle. Der Überlieferung nach wäre in Charlottenburg kein Platz für ein Freibad gewesen. Was wunderlich ist. Direkt neben dem Bad liegt ein kleiner Park, in den locker ein 50-Meter-Becken und eine Liegewiese passen würde. Aber vielleicht war es gar kein reines Platzproblem, sondern eher ein Problem mit Anwohner/ dem Lärmschutz und den dafür nötigen Abständen.

Gebäude


Waschkieselbeton. Die Fassade ist noch originalgetreu und auch sonst erweckt das Bad getreulich den Eindruck im Jahre 1974 zu leben. Das Foyer ist klein, die Dame an der Kasse nett und hilfsbereit. Ansonsten typische Konstruktion der Bäder: eine lange flache Halle mit den Schwimmbecken und Umkleiden, davor ein kleiner Anbau für Foyer und Bistro. Unprätentios, funktional und ein klein wenig elegant.



Schön übrigens zu sehen, wie winzig im Vergleich die Alte Halle ist und wie stark die Wasserfläche zwischen 1898 (Alte Halle) und 1974 (Neue Halle) zugenommen hat.




Umkleiden/Duschen


Oh Schwimmer, lass alle Hoffnung fahren. Die Umkleiden sind im Typ „Kachellabyrinth“ gestaltet. Bevor man die Kabinen sieht, muss man erst einmal diverse weiß gekachelte Wände umrunden. Die Kabinen sind ebenfalls weiß gekachelt, Kabinen- und Spindtüren in eine Art Depressionsbraun gestaltet. Dass die Planer es geschafft haben, einen Farbton derartiger Hoffnungslosigkeit zu finden – Respekt. Ein Wegweiser im Herrenbereich weist Richtung „Wickeltisch“, der Weg dorthin ist allerdings durch eine Sperrkette blockiert.




Man sieht dem Umkleidebereich an, dass das Bad 43 Jahre alt ist. Dafür hat aber beim ersten Besuch alles funktioniert und Kleinteile wie Spiegel, Haken etc. waren soweit ich überblicken konnte noch vollständig vorhanden. Die Schrankschlösser müssen mal erneuert worden sein – immerhin nahmen sie Euromünzen. Sie wirkten aber sowohl von er Optik wie auch der recht hakeligen Haptik durchaus so, als würden sie auch noch aus dem Jahr 1974 stammen.

Beim zweiten Besuch, musste ich dann einige Schränke durchprobieren, bis ich ein Modell fand, das meinen Euro auch annahm.

Es gibt zwei Herrenduschen. Das obligratorische „ziehe Dich aus“-Schild zitiert auf deutsch und türkisch den entsprechenden Abschnitt der Schwimmbadordnung. Die Duschen sind weiß/dunkelblau funktionieren tadellos und sind jeweils eher klein, nicht weiter bemerkenswert.

Schwimmhalle


Ein Nichtschwimmerbecken mit kleiner Rutsche, ein Schwimmerbecken (50 Meter) und ein Sprungbecken mit Drei-Meter-Brett. Schwimmer- und Nichtschwimmer hintereinander, das Sprungbecken neben dem Schwimmerbecken. Das Schwimmerbecken wird zum Ende hin etwa Hüfttief. Das Wasser war gefühlt einen Tick wärmer als in anderen derartigen Hallen. Die Konstruktion insgesamt ist noch etwas säulenlastiger als in späteren Kombibädern aber insgesamt doch recht ähnlich.



Als ich da war, waren drei Sportbahnen abgetrennt, sowohl wochentags wie wochenends. Die Fensterfront, die in den anderen Bädern zum Freibad hin öffnet, würde hier einen kleinen Park zeigen, wenn nicht direkt vor den Fenstern Büsche und Bäume gepflanzt waren.

Immerhin, im Herbst, mit verschiedenen Laubfarben, war das recht ansehnlich. Wie immer in dieser Badkonstruktion war das Licht eher schummerig und die Büsche direkt vor dem Fenster haben in der Hinsicht auch nicht geholfen. Dafür leuchteten die Lampen recht kräftig und das Bad brachte eine Geheimwaffe ins Spiel: Signalgelbe Säulen mit Neonfarbentouch, wieder aufgegriffen durch einen neongelben Strich auf dem Beckenboden.

Die Farbgestaltung im Inneren erinnerte an eine britische Baustelle mit all‘ dem Gelb und der neonorangen Aufschrift „nicht vom Beckenrand springen“ – zusammen mit den sonst weißen Händen war das dann insgesamt aber doch halbwegs farbig und licht.

Publikum


Es war ernstlich voll. Und das an einem Wochentag am frühen Nachmittag. Da in der Alten Halle gerade Seniorenschwimmen war, waren in der Neuen Halle alle Anwesenden unter 50 und überraschenderweise waren auch fast keine Kinder und Jugendliche da.

Fast nur ernstlich schwimmende Erwachsene, eine solche Anzahl an Schwimmern mit sportlichem Ehrgeiz habe ich in Berlin bisher nur im Stadtbad Mitte erlebt. Die drei Sportbahnen waren mehr als gerechtfertigt.

Wochenends waren die Schwimmer mit sportlichem Ehrgeiz auch da. Dazu auch noch jede Menge Jungs im Pubertären und Nachpubertären Alter. Das war ein wenig anstrengend.  Obwohl die Alte Halle Samstag Nachmittags geschlossen hat, dort folglich kein Seniorenschwimmen stattfinden konnte, waren die Senioren nicht in der Neuen Halle.

Gastronomie


Ein Bistro gab es wohl einmal und Zeitungsberichte aus dem Jahr 2015 erzählen auch noch von einem "rustikalen Bistro." Dort wo auch in anderen Kombibädern ein kleines Café untergebracht ist, standen Stühle und Tische. Der Raum war allerdings dunkel, abgeschlossen und ich habe auch weder einen Tresen noch einen Automat oder eine andere Kaffeequelle entdecken können. Ein kurzer Abstecher in die Alte Halle brachte dann auch dort nur einen Süßigkeitenautomat zu Tage, so dass ich kaffeelos ging.



Preise/Öffnungszeiten


5,50€, Berliner Normaltarif. Die Öffnungszeiten sind komplex. Im wesentlichen Frühschwimmen (6.30h-8.00h Dienstag bis Freitag, Dienstag und Donnerstag Nachmittags bis 22 Uhr, Mittwochs ganztägig bis 22 Uhr, am Wochenende 10 bis 17 Uhr, Montags, Mittwochs und Freitags nur für Schulen und Vereine.


Fazit


Ein wahrhaft historisches Bad, das nun den Nachteil hat, für alles zu stehen, was gerade nicht schick ist: Kieselwaschbeton. 50-Meter-Bahnen. Kein Schnickschnick, keine Rutschen. Ehrliche Funktionalität mt einem leichten Hauch Eleganz. Echtes Schwimmen. Das Bad bildete den Auftakt zum größten Bäderbauprogramm Westberlins. Ohne die Neue Halle Charlottenburg und ihre Nachfolger sähe es heute mit Schwimmen im Westen Berlins katastrophal aus.


Dementsprechend fällt das Fazit. Ein Bad zum Schwimmen. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Schwimmen geht hervorragend. Auf den zweiten Blick kriegt man auch noch eine Menge Zeitgeschichte hinzu. Freuen wir uns daran, so lange sie noch nicht wegsaniert wurde.









Sonstiges


Der Mann, der direkt gegenüber dem Schwimmbadeingang ins Gebüsch pinkelte. Ach, Charlottenburg!

Erfreulicher: durch den Badbesuch erfuhr ich, dass Berlin auch einen Damenschwimmerverein hat. Der Verein „Nixe“, nach eigenen Angaben ältester Frauenschwimmverein Deutschlands, scheint sowohl ältere wie auch sehr junge Damen eine Heimat zu bieten. Gegründet 1893 von fünf jungen Mädchen - die älteste war 14 - und dem Bruder der einen, die frustriert waren, weil die Männer in den anderen Schwimmvereinen keine Frauen dabei haben wollten.

Und weiter

 

Die Übersicht aller Schwimmbadartikel ist unter Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick

Und siehe da. Das Schwimmbadblog schrieb auch gerade etwas zur neuen Charlottenburger Halle: Stadtbad Charlottenburg Neue Halle


2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Danke für diese treffende Beschreibung eines unglamourös, aber funktionalen Bades!

dirk franke hat gesagt…

Selber danke. Ich mag die Kombibäder ja. Zum Schwimmen sind sie echt gut.