Mittwoch, 8. Juni 2016

Kommunistenspargel - Spargelanbau in der DDR

Vor einiger Zeit habe ich schon versucht zu ergründen, ob es in der DDR Spaghetti gab. Nun gibt es neben Spaghetti auch anderes feines Essen. Gerade in Berlin, das mittlerweile von Brandenburger Spargelhöfen umkreist und eingeschlossen ist, stellt sich die Anschlussfrage: Wie sah es eigentlich mit dem Spargel in der DDR aus? Konnte man auch vor 1990 nett entlang der Spargelfelder lustwandeln? Zumindest nach der in Beelitz nacherzählten Legende, haben dort die Spargelbauern seit 1990 alles wieder quasi aus dem Nichts erschaffen.

Immerhin: die Grundfrage lässt sich einfach beantworten: gab es in der DDR Spargel? Ja! Gab es soviel Spargel wie heute? Nein. Mit detaillierteren Informationen wird es schwieriger.

Vor der DDR existierte auf jeden Fall Spargel. Die Brandenburger Streusandbüchse bietet sich zur Spargelzucht an. Mit Berlin existiert auch ein naheliegender Markt für große Mengen des Gemüses. Die Brandenburger Kleinstadt Beelitz - gelegen etwas südlich von Berlin auf einem Sander aus Sand, Kies und Geröll - war schon vor dem Krieg berühmt für seinen Spargel. Von 1870 bis in die 1930er dehnte sich die Anbaufläche stets aus. In den letzten Jahrzehnten kamen ebenso zu Touristen zum Spargelfest  nach Beelitz wie Erntehelfer aus Osteuropa.

Bundesarchiv Bild 183-R0312-500, Mark Brandenburg, Spargelernte
Spargelernte in Brandenburg. Vor 1945.  Bild: Bundesarchiv, Bild 183-R0312-500 / CC-BY-SA 3.0


Vor-DDR-Spargel

Historisch wichtiger, heutzutage als Spargelgebiet weniger bekannt, ist die Altmark, heute im nördlichen Sachsen-Anhalt. Wie Brandenburg auch ein trockenes Gebiet mit leichten Sandböden. Um das Zentrum Osterburg herum gab es nicht nur regen Spargel-Anbau, sondern mit August Huchel auch eine der prägenden Gestalten der frühen Spargelzucht. Huchel untersuchte in den zwanziger Jahren planmäßig große Mengen der damals vorherrschenden lokal begrenzten Landsorten und begann die Spargelzucht zu systematisieren. Daraus entstand Huchels Leistungsauslese, die erste deutsche Spargelsorte im engeren Sinne.

Huchels Leistungsauslese können passionierter Kleingärtner auch heute noch als Pflanzen und Samen kaufen. 1929 entstand aus Huchels Forschungen die Deutsche Spargelhochzuchtgesellschaft Osterburg/Altmark.



Dekadent und ohne Kalorien


In groben Zügen lautet die überlieferte Geschichte dann so. Die DDR - der Staat in dem Ragout fin zu Würzfleisch umgetauft wurde - mochte Spargel nicht, der einerseits zu dekadent war und andererseits zu wenig Kalorien pro Hektar erzeugte. Die DDR-Führung zwang die Bauern zur Umstellung. Der einzige vorhandene Anbau danach war von Nebenerwerbslandwirten mehr oder weniger im Hobbybetrieb und zur Aufbesserung des eigenen Einkommens. Die Flächen waren klein und Spargel außerhalb der eigentlichen Anbaugebiete kaum zu bekommen.

Huchel selbst floh 1953 in den Westen und wurde dort zum "Spargelprofessor vom Niederrhein.". Seine Spargelfelder in der Altmark waren durch den Krieg zerstört. Huchels Bemühen um den Spargel passte nicht mit den Landwirtschaftszielen der damaligen DDR-Führung zusammen. 

Spargel gegen Westmark


Andererseits soll die Staatsführung später mitbekommen haben, dass sich Spargel gegen Westmark verkaufen ließ. Soweit ich aus den Quellen herausinterpretieren kann, war dies aber vor allem wieder in der Altmark der Fall. In Brandenburg wurde kaum Spargel angebaut. Die Altmark liegt deutlich verkehrsgünstiger zum westdeutschen Spargelzentrum Ostniedersachsen.

Wenn es DDR-Spargel im regulären Handel gab, dann im Intershop, später auch im Delikat-Laden: eine Art Intershop ohne Devisen, dafür mit erstaunlich hohen Preisen in DDR-Mark. Anscheinend gab es aber polnischen Spargel in Hortex-Läden: Läden, die sich speziell auf den Verkauf polnischer Produkte in der DDR spezialisiert hatten. Aber wieviele Hortex-Läden gab es in der DDR? Und gab es diese auch außerhalb Berlins?

In Polen auf jeden Fall scheint es weiter Spargel gegeben zu haben. Nicht jedoch in der Tschechoslowakei. Auch Böhmen war vor 1945 ein großer Spargelanbauer. Hier allerdings scheint es die kommunistische Herrschaft erfolgreich geschafft zu haben, den Spargel bis heute komplett von der Speisekarte zu verbannen.

Komplett untergegangen ist der Spargel in der DDR nicht. In der Altmark wurde die Pflanze weiterhin regelmäßig gezüchtet. Das Zentrum der Zucht wanderte dann irgendwann von Osterburg 20 Kilometer nach Süden nach Möringen, seit 2010 ein Stadtteil Stendals. Die Zucht war  anscheinend so erfolgreich, dass der Betrieb kurz nach der Wende mit der Südwestdeutschen Saatzucht auch einen Käufer fand und auch noch heute existiert.

Die Sorten Helios aus der Altmark (zugelassen 1987) und die Sorte Epos (zugelassen kurz nach der Wende) sind heute beide noch im kommerziellen Anbau vorhanden. Neuere Sorten aus Möringen, die  kommerziell angebaut werden, sind Ramos, Ravel und Rapsody.

Und mit Spargelforschung ließ sich in der DDR anscheinen auch wissenschaftliche Karriere machen.

In ihrer Dissertation beschäftigte [Frederike Kaufmann] sich mit Untersuchungen zur Faserigkeit von Spargel und schloss ihre Promotion 1963 mit der höchsten Bewertung ab. Zunächst als Assistentin, später als Oberassistent in arbeitete sie danach an der Humboldt-Universität am Institut für Gemüsebau. 1967 habilitierte sie sich mit einer Schrift über die Erhöhung der Spargelproduktion. ... Sie war die führende Expertin für den Spargelanbau in der DDR und ihr wichtigstes Buch Spargel erschien 1974. (Ganzer Nachruf hier)

Schilderungen von Zeitgenossen sagen, dass die Bückware Spargel als inoffizielle Währung funktionierte und sich gut gegen allerlei andere Güter tauschen ließ. Der Anbau von Spargel lohnte für den einzelnen Anbauer. Anscheinend war er aber immer knapp genug, dass mensch auf Tauschhandel angewiesen war, um ihn zu bekommen. Auch scheint der Fokus des Anbaus für die DDR-Bevölkerung eher auf grünem Spargel gelegen zu haben: der kann maschinell geerntet werden, kann deshalb auch in schwereren Böden angebaut werden, ohne dass die Ernte unmöglich wird, und war wohl auch nicht so gut zu exportieren.

Wieviel Spargel denn nun angebaut wurde, und wie sehr das staatlich gefördert war, erschließt sich mir nicht wirklich. Die Erinnerungen an Bückware scheinen das Bild auf jeden Fall zu verfälschen, da ein Großteil des Spargels in den Westen ging. Ein gutes Beispiel dafür ist das Jahr 1986 - das Jahr der Tschernobyl-Katastrophe - als der Westen dann plötzlich keine Agrargüter aus dem Osten mehr haben wollte und der Spargel anscheinend auch in Teilen der DDR problemlos zu bekommen war.

Nach der Wende


Während Brandenburgs Spargelanbau darbte und die Altmark nach Niedersachsen lieferte, änderte sich alles nach der Wende. Westdeutsche Spargelbauer zogen der Tradition hinterher, taten sich mal mit den verbliebenden ostdeutschen Spargelbauern zusammen oder zogen ihr Ding ohne Rücksicht auf Verluste durch, vielleicht war sogar der ein oder andere Ostdeutsche gegen alle Wahrscheinlichkeiten erfolgreich. Der Spargelanbau im Berliner Umland boomt. Und boomt. Und boomt. In Beelitz wird mittlerweile ein mehrfaches der Fläche mit Spargel angebaut wie noch in den 1930ern.

Beelitz Spargel

Beelitzer Spargel hat heute mittlerweile wieder einen bundesdeutschen Namen. Nicht zuletzt wohl wegen der ganzen Pressemenschen in Berlin. Brandenburg hat mittlerweile Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg im Anbaugebiet hinter sich gelassen und ist nach Niedersachsen das Bundesland mit dem zweitmeisten Spargel. Altmarktspargel gibt es auch wieder in großen Mengen. Aber sein wir ehrlich: in Stendal, Osterburg und Bartkow kommt halt nie ein Mensch vorbei, der den Ruhm des Altmärker Spargels außerhalb dessen Anbaugebiets tragen könnte. Die Anbauflächen in der Altmark sind weit hinter dem Stand von vor dem Krieg.

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Wie es in Brandenburg mittlerweile aussieht, lässt sich erwandern bei einer Tour durch die Spargelberge.

Dort wo Spargel wächst, wachsen auch Heidelbeeren: Heidel/Blau/Wald/Zeck/Moos

Alles zum Thema Essen, Trinken und Landwirtschaft im Blog: Kultur in Iberty!

3 Kommentare:

Victor Grossman hat gesagt…

Viel Quatsch! Erstens, ragout fin hieß doch ragout fin! Zweitens galt Spargel niemals als "dekadent", und Kalorienspeisen hatte die DDR immer mehr als genug (ja, etwas zu viel). Drittens; Es gab auch Spargel, aber immer viel zu wenig. Daher, sobald Spargel ins GHeschäft kam, sah man immer Schlangen. Ein Hauptgrund der Mangel war sicher, dass es schwierig war, DDR-Arbeitskräfte für de schwere Arbeit zu finden (zumal es keine Arbbeitslose gab) während auszubeutende Erntehilfe aus Polen damals auch fehlte; die hatten auch bessere Arbeit. Nach 1990 konnte man endlich wieder billige Arbeitskräfte hereinholen! Wegen der Corona-Epidemie musste man nun aber Extra-Ausnahmeregeln finden, damit arme Leute aus dem von Kommunisten befreiten Rumänien eingeflogen werden. Jetzt gibt es also Spargel.+ Man soll nicht immer gegen ein verstorbenes Ross treten, um ein paar billige Lächeln zu ergattern!
Victor Grossman

Stepro hat gesagt…

Ragout fin und Würzfleisch waren in der DDR zwei verschiedene Speisen und sind es auch heute noch.

Das kann man auch in dieser komischen Enzyklopsädie nachlesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ragout_fin
https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%BCrzfleisch

Ersteres gab es nur in der "gehobenen Gastronomie", und wurde in Blätterteig serviert, zweiteres gab es häufig und in der Keramikform serviert, mit der guten "Wustersoße" Dresdner Art.

dirk franke hat gesagt…

Lieber Victor Grossmann,

welch Licht in dieser kleinen Blog-Hütte. Sowie ich den Beitrag verstehe, sind wir uns im Kern einig: es gab einen landwirtschaftlichen Spargelanbau - aber in wesentlich kleinerem Rahmen als in Westdeutschland vor 1990 oder heutzutage in Deutschland. Wo wir nicht übereinstimmen: lag es am wollen ("zu dekadent") oder am können ("keine Arbeitskräfte")

Die These, dass es nicht ging überzeugt mich nicht. Einmal ganz grundsätzlich: anders als "der Markt" wo sich am Ende jeder vor direkter Verantwortung drücken kann, hat ja "der Plan" den Vor- und Nachteil: jemand ist direkt verantwortlich.

Aber auch konkreter: bei allen Mängeln, die mir zur DDR einfallen. Der Mangel an Arbeitskräften wäre mir neu. Natürlich kann man auch Spargelernte attraktiv machen: mit geringen Arbeitspensen und hoher Bezahlung ließen sich auch heute Arbeitnehmer dafür finden. In einem System, in dem Arbeitsplatzwahl bestenfalls semi-freiwillig war, wohl auch. Immerhin ist es ja gelungen ausreichen Menschen damit zu beschäftigen in der NVA zu dienen, Kartoffelkäfer zu sammeln oder IKEA-Möbel zu fertigen. Warum dies nun ausgerechnet beim Spargel nicht möglich sein sollte?

Und ich denke, da sind wir wieder einig: die Spargel-Priorität der DDR-Staatsführung lag weiter unter derjenigen heutiger deutscher Konsumenten. Es war ihr den Aufwand in größerem Maßstab nicht wert.