Mittwoch, 15. Juni 2016

Ostmusik

Letztens stieß ich doch ein paarmal auf Musik aus Ostdeutschland. Uwe hat mich auf die Spaßcombo Possenspiel hingewiesen, die zwar so dezent-anstregende Texte hatten (lustig!), aber musikalisch auch mehr funky waren als ich der DDR je zugetraut hätte. Ich stieß auch Chicoree, die zwar musikalisch eher typischen lyrisch-melancholischen Ostrock machten, aber zumindest Preise für den genial-bescheuertsten Bandnamen bekommen sollten.

Und Marcus tadelte mich, weil mir die Dithmarscher-Erzgebirgsche Co-Produktion "Die immer lacht" - zur Zeit immerhin Platz 2 der deutschen Charts - so gar nichts sagte. Drei musikalisch ostdeutsche Entdeckungen innerhalb weniger Tage. Und das mir! Sollte ich da tatsächlich etwas übersehen haben? Sollten aus der DDR und ihren Nachfolgebundesländern musikalische Highlights hervorgegangen sein, die sich mir bisher entzogen?

Und das ausgerechnet mir, der ich ja selbst größere Teile der 90er in Leipzig verbracht habe und mich da intensiver mit Popmusik beschäftigt als je vorher oder nachher. Sollte ich nicht den kompletten 80er/90er-Kanon der sächsisch-thüringisch-brandenburgischen Musik auch nachts um drei im Schlaf können? Sollte es noch mehr geben? Habe ich bewegendes übersehen? Was gab es noch?

Musiker aus Brandenburg


Um das Thema überschaubar zu halten, habe ich versucht mich auf Brandenburg zu beschränken. Dank der Bibliothek Potsdam gibt es zum Thema eine ausführliche und fast aktuelle (September 2014) Übersicht: "Musiker aus Brandenburg. Kurzbiografien der in der Sondersammlung Musik aus Brandenburg“ der Musikbibliothek der Stadt - und Landesbibliothek Potsdam vertretenen Musiker."

Deren 65 Seiten sind nicht vollständig und haben anscheinend insbesondere was die 2000er angeht Lücken, bieten aber von Büchsenschütz, Gustav über Bach, Carl Philipp Emanuel und Paul van Dyk bis hin zu Blutiger Osten und der Fercher Obskisten Bühne doch eine große Auswahl. Was gab und gibt es denn so an Brandenburger Musik?

Chart-Fernseh-Schlager natürlich. Den lasse ich mal weitgehend aus. Der ist halbwegs bekannt und musikalisch halbwesg uninteressant - scheint zudem eher aus anderen Teilen der DDR gekommen zu sein als ausgerechnet aus Brandenburg. Der einzige Name, der mir da wirklich was sagte, war Wolfgang Lippert - nun ja. Spannender sind in der Richtung Gerhard Gundermann und Achim Mentzel, die ich jetzt aber auch für eingeschworene Westdeutsche als bekannt voraussetze.

Beat und Rock


Zu den unbekannteren Episoden der DDR-Musikgeschichte gehörte die Beat-Musik, die allerdings schon kurz nach ihrem Aufkommen wieder verboten wurde. Die Sputniks aus Berlin (1963-1966), die Butlers (1962-1965) aus Leipzig oder Scirocco (1964- ) aus Potsdam existierten zu kurz oder waren zu stark gegängelt um eine eigenen Identität zu entwickeln. Scirocco war die einzige Band, die länger existierte und für den größten Teil der Zeit haben die dann eher unerträglichen Schlager produziert. Für mich klingt das eher so als wäre die Entwicklung des Beats zusammengebrochen als die Bands noch dabei waren, englische Bands zu kopieren. Hätte was werden können, ist es aber anscheinend nicht.



Mit dem klassischen Ostrock - in Brandenburg beispielsweise vertreten durch die Puhdys oder Keimzeit (1980- ) - konnte ich nie was anfangen. Mag daran liegen, dass die Bands ihre Hochzeit so zwischen 1975 und 1985. Als ich sie dann kennenlernte, waren sie 10 bis 15 Jahre hinter ihrer Blütezeit. An sich schon kein gutes Alter für eine Rockband, und umso schwieriger, wenn sich zwischendurch das komplette Umfeld geändert hat. Um mal ein Beispiel zu nennen. Keimzeit. Eine Brandenburger Band deren Appeal sich mir stets verschloss. Mittlerweile kann ich in der Wikipedia nachlesen:

In den 1980er Jahren erspielte sich die Band auf tausenden Konzerten eine treue Fangemeinde, vor allem im jetzigen Bundesland Brandenburg. Konzerte mit mehr als fünf Stunden Spieldauer waren keine Seltenheit. Die Abende wurden – über den eigentlichen Auftritt hinaus – zu teilweise sehr alkohollastigen Partys. Die Auftritte wurden zudem meist abseits vom staatlich gelenkten Musikgeschäft der DDR organisiert, zum Beispiel in Dorfkneipen mit ihren Veranstaltungssälen. Ende der 1980er Jahre wurde der Band kurzzeitig die Spielerlaubnis durch die staatliche Künstlerorganisation entzogen.

Im DDR-Kontext klingt das ziemlich großartig. Danach im Nachwendewesten wirkt es wie aus der Zeit gefallen.

Wendezeit

Bewegung kam in den späten Achtzigern in die Szene. Zumindest in den größeren Städten war der Staat deutlich weniger präsent und es begannen sich subkulturelle Szenen zu bilden. Es wurde dunler-untergroundiger und die Kontrolle ließ offensichtlich nach. Diese Zeit der Offenheit und Unbeständigkeit war Zeit der Experimente und Entwicklungen. Dabei ist ein echter Generationsbruch über wenige Jahre zu sehen, der sich in verschiedener Musik ausirchtete,

Meine Erfahrungen in Leipzig, war dass die Menschen de zur Wende etwa 20-25 waren, also in den Achtzigern popmusikalisch sozialisiert waren in einem Depeche Mode Land lebten. Ausgehend von der Musik muss die DDR zu der Zeit echt ein melancholischer, düsterer, geradezu lyrisch angehauchter Staat gewesen sein. Außerhalb der Großstadt entwickelten sich zudem noch eine große Folkszene, die beispielsweise das eher biedere Volksmusiktreffen in Rudolstadt bis heute zur wichtigsten Veranstaltung für Folk- und Weltmusik in Deutschland emporhob. Auch die zahlreichen ostdeutschen Mittelalterbands würde ich auf die Folk-Szene der DDR zurückführen.

Die Generation etwas jünger: zur Wende etwa 15-20 Jahre alt - hörte dann schon Punk, Handcore, Oi. Musik die hart war und weh tun soll. Gerne auch mal etwas künstlerischer angehaucht. Als Beispiel mal Sandow aus Cottbus mit einer eher ruhigen Nummer.



Ebenfalls zu der Zeit entstand die Neonazi-Szene, die uns ja auch bis heute beschäftigt. Aber abgesehen davon, dass es Nazis sind, machen sie auch elendig grottige Musik und müssen uns deshalb hier nicht weiter beschäftigen.

Nach der Wende entstanden aus der Punk/Kunst/Hardcore-Szene jede Menge Punkbands. Ich glaube das Ostdeutschland der 90er war eine schier unerschöpfliche Quelle von Schlager-Deutschpunkbands, die ihre Instrumente nicht so richtig bedienen konnten. Anscheinend kamen die vor allem aus Sachsen (Leipzig) und Thüringen. Dennoch gibt es auch einige Brandenburger Deutschpunkcombos. Eine Erwähnung ehrenhalber sei Bier Icki Ütsch aus Postdam für den originellen Namen gewidmet. (und wer jetzt verwirrt ist, folge diesem Link) Typischer aber sind eher die Babelsberg Pöbelz.

Aber es war auch spannender mit 44 Leningrad.



Außerhalb der lokalen Szene deutlich bekannter, auch Nachwende, gegründet 1990 in Potsdam: die Band Subway to Sally. Die eine Mischung aus handgemacht dem düster-lyrisch-melancholischen einerseits und recht hartem Rock spielen. Mir persönlich zu unspannend und unentschlossen, aber auf jeden Fall mit Erfolg.

Überraschungen


Bei soviel Punk, Melancholie und dem düsteren in der Musik gab es dann auch Überraschungen für mich. G.E.S. aus Cottbus ist eine Band, die ich der DDR nicht zugetraut hätte. Eine ordentliche staatliche Amiga-veröffentlichende Band mit Fernsehauftritten und Auslandsaufenthalten, aber doch so anders. Die DDR hatte eine echte Disco-Band. "It's raining man" aus Cottbus in Miami-Vice-Outfits. G.E.S.!



Auch eher untypisch war Metal. Die Metaller waren im Osten eher Blueser - ein Thema, das schon fast ein eigenes Buch lohnen würde .Aber auch Metal gab es. Biest aus Jüterbog südlich von Berlin - war es die einzige Metalband der Welt, die je die Auszeichnung als "Hervorragendes Volkskunstkollektiv” bekam? - spielten bluesigen Metal.

Noch untypischer war Hip Hop. Es scheint genau eine Hip Hop Band gegeben zu haben, die jemals offiziell wahrgenommen wurden. Die ist so - naja. Jede musikalische Entwicklung fängt mit schlechtem Kopieren der Originale an und die DDR brach zusammen, bevor sich eine DDR-Hip-Hop-Szene bilden konnten. Aber auch in Westdeutschland war es mit dem HipHop immer schwierig, und die westdeutschen Bands hatten weniger Probleme an die Originale zu kommen. (Zum Vergleich zur selben Zeit erschien beispielsweise De La Souls Me, Myself and I) Es war eine erste Aneignung und was aus einer originären DDR-Hip Hop Szene hätte werden können wer weiß. So aber bleibt uns nur die Electric Beat Crew aus Schulzendorf etwas östlich von Berlin.




Und jetzt?


Und nu? Die Neonazi-Szene ist recht aktiv mit einem Musikstil, den ich mal unerträglich-einfältigen Deutschpunk nennen würde. Subway to Sally gibt es noch. Schlager gibt es auch noch, immer mal wieder auch erfolgreich durchgepoppt. Bürger Lars Dietrich stammt aus Postdam. Doreen Steinert ist vor allem bekannt als Ex-Verlobte von Sido, hat aber auch mal bei einer Casting-Sendung gewonnen. Auch wenn ich mich nach Ansicht ihres Unplugged-Videos Frage: warum? Jeanette Biedermann lebt mittlerweile in Brandenburg und betreibt eine Pop-Schlager-Combo namens Ewig. Muss man auch nicht kennen. Wirklich spannendes aus Brandenburg aus dem hier und jetzt habe ich noch nicht gefunen. Virginia Jetzt! kann doch nicht alles sein! Ziehen die potentiellen Musiker heute wirklich alle mit 17 nach Berlin und gründen dann da ihre Bands? Ich glaube ich muss noch weitersuchen für das hier und jetzt.

Als Abschluss aber doch noch ein Fundstück aus dem hier und jetzt: Punkabilly, Depeche Mode und Achim Mentzel. Alles in einem Song! Yes!

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