Freitag, 17. Juni 2016

Traktorfreitag: Traktoristen

Traktoristen und Traktoristinnen. Sie sind ein unterschätztes Thema. Nach Fritz der Traktorist letzte Woche, nähern wir uns dem Thema heute etwas textlastiger. Dennoch wird es auch ein kleines musikalisches Intermezzo geben.

Wie bereits letzte Woche kurz angerissen: Fritz hat einen Text, der aus heutiger Sicht eher bescheuert-naiv klingt, aber 1950 zur Entstehungszeit des Liedes Propaganda war. Die damals noch weitgehend selbstständigen Bauern der DDR sollten in die LPGs (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften) nach sowjetischem Vorbild getrieben werden. Es sollten keine Einzel- und Kleinbauernbetriebe mehr existieren, sondern die Feldern sollten in kollektivierter Landwirtschaft bestellt werden.

Mit dem Traktor zur LPG

 

Wer Bauern kennt, weiß, dass Bauern sehr stur sein können. Insbesondere würden sie schon gar nicht niemals nie und überhaupt nicht freiwillig auch nur einen Quadratmeter Boden aus der Hand geben. Überzeugungsarbeit war gefragt.

In den 1950ern, von denen wir beim Traktoristen-Thema vor allem reden ging es tatsächlich noch um Überzeigung. Zumindest in der dieser Zeit war es in der DDR eher noch der Versuch zu überzeugen und zu gängeln als echter alternativloser Zwang. Das System, Bauern ohne Alternative in die LPGs zu zwingen, sollte noch einige paar Jahre auf sich warten lassen. Also versuchte es die Staatsführung in den 1950ern mit einem Mittelweg aus Gängelung und Propaganda: und was lag da näher als schöne Lieder über das neue kollektivierte Landleben zu schreiben?

Bundesarchiv Bild 183-19148-003, Grosskochberg, der beste Traktorist

Der beste Trakterist-der MTS Grosskochberg (Kreis Rudolstadt) ist der Trakterist Gerhard Kästner mit einer Leistung von 75 ha mittleres Pflügen, reine Feldarbeit. Diese Leistung erreichte er hauptsächlich durch die Anwendung der Gerätekopplung. Bundesarchiv, Bild 183-19148-003 / CC-BY-SA 3.0


Aber worüber gingen die Lieder? Die Kollektivierung brachte Vor- und Nachteile. Ein Vorteil des kollektivierten und damit größeren Betriebs ist die Arbeitsteilung, die das Arbeiten im allgemeinen effektiver macht. Ein anderer Vorteil des Großbetriebs besteht darin, dass es für einen größeren Betrieb einfacher ist, sich moderne Technik zu halten. 1950er waren Fuhrwerke, Pferde und andere Tiere noch weit verbreitet in der Landwirtschaft. Traktoren waren Neid erzeugendes High-Tech-Spielzeug. Der Traktor war die Zukunft, Technik und Fortschritt. Unbegrenzte Energie aus rauchender Maschine statt lahmer Ackergaul!



Und außerdem: Wie jeder Iberty-Leser weiß: Traktoren sind ja sowas von cool. Und dann gab es in den Kollektivbetrieben Menschen, die nur Traktor fahren? Das sollte doch ein Traum für jeden Jungen sein. Die Aussicht nur noch Traktor fahren zu dürfen, sollte die Bauern in Scharen in die LPGs locken.

Sprachwanderungen


Aber wenn schon eine neu geschaffene Funktion existiert - jemand, der nur Traktor fährt - dann bedarf es auch eines neues Wortes für diese Funktion. Das Wort Traktorist selbst kam aus dem Russischen (Тракторист), das den Traktoristen wiederum aus dem Latein hatten. So wie diverse Wörter des DDR-Vokubulars aus anderen Sprachen über das Russische ins Deutsche wanderten.

Ein anderes schönes Beispiel neben dem Traktoristen ist die Kombine, auf westdeutsch Vollernter oder Mähdrescher. Die Kombine kam aus dem Russischen (комбайн kombain), das das Wort aus dem amerikanischen Englisch übernommen hatte. Dort heißt die entsprechende Maschine Combine Harvester. Es ist doch nett, Anglizismen in der DDR zu entdecken, wo der Westen gute deutsche Wörter wie Vollernter verwendete.

Aber zurück zum Traktoristen. Im Russischen und den Nachfolgestaaten der UdSSR ist der Begriff Traktorist immer noch verbreitet, wie folgendes Video zeigt. Es folgt ein kurzes musikalisches Intermezzo:



Traktoristinnen

Man sollte nicht immer nur von Traktoristen sprechen, sondern auch von Traktoristinnen. Zumindest eine handvoll Traktoristinnen existierten tatsächlich. Die DDR gab sich allerdings große Mühe, es mehr wirken zu lassen. Die Traktoristinnen spielten in der Propaganda eine große Rolle, wurden gerne im Zeitungen und später im Fernsehen gezeigt und auch international vorgeführt. Praktisch und auf dem Felde allerdings gab es kaum Traktoristinnen.

Anscheinend hat es jede Frau, die je in der DDR auf einem Traktor saß, geschafft, im Neuen Deutschland porträtiert zu werden. In diesem Bereich klafften Anspruch und Wirklichkeit der DDR weit auseinander. Viele Traktoristinnen auf Propagandabildern, wenige Traktoristinnen im Acker. Wobei die Lücke nicht nur im Traktorwesen im engeren Sinne klaffte. Sie erstreckte sich auf die ganze Landwirtschaft der DDR. Auch in den LPGs durften im Wesentlichen die Männer mit den Maschinen spielen und die Frauen bekamen die langweilige Büro- und Hausarbeit ab. Mittlerweile wird das sogar erforscht: es gibt Gender-Studies-Studien zu Geschlechterverhältnissen in LPGs.

Bundesarchiv Bild 183-R90251, Rehfelde, Traktoristin
Traktoristin Franziska Küster auf einem Traktor der MAS Rehfelde. 3331-49 17.5.1949. Bundesarchiv, Bild 183-R90251 / CC-BY-SA 3.0


Die Genderforschung zum Thema LPG scheint mit heute deutlich weiter und ausführlicher zu sein, als die Aufarbeitung des Traktoristen an sich. Nach den 1950ern wird es um Traktoristen erstaunlich ruhig. Er verschwindet aus Propaganda, Musik und Bundesarchivbildern. Über den Traktoristen nach 1960 ist es schwer, nähere Informationen zu finden. Anscheinend ist der Traktorist seit den 1950ern still zurück ins Feld getreten ohne dass er noch größere Beachtung bekommen hat. Nachdem die DDR-Führung sich entschieden hatte, dass Gängelung und Zwang doch effektiver im Umgang mit Bauern war als Propaganda, tauchte der Traktorist so hervorgehoben kaum mehr auf.

Bundesarchiv Bild 183-66070-0001, VEG Pinnow, Traktoristin und Aktivistin
Traktoristin und Aktivistin Maria Plewka. Seit 6 Jahren ist die 25jährige Maria Plewka auf dem VEG Pinnow, Kreis Oranienburg, Traktoristin. Bis 1953 hat sie als Landarbeiterin gearbeitet und dort die Fahrerlaubnis abgelegt. Sie ist den Arbeitskollegen ein gutes Vorbild. Mit ihrem RS 30 pflügt sie, pflegt ihn selbständig und leistet alle vorkommenden Arbeiten. Im Herbst zog sie auf der Raupe die Winterfurche.Bundesarchiv, Bild 183-66070-0001 / Martin / CC-BY-SA 3.0

Im Nachhinein ist es bereits schwer, nachzuvollziehen, ob Traktorist wirklich eine echte Berufsbezeichnung war oder ob der Traktorist einfach derjenige bezeichnet wurde, der gerade auf dem Traktor saß. Da es sich allerdings um die DDR handelte, waren vermutlich ein Diplom und eine Bescheinigung und eine Erlaubnis vorgesehen, um Traktorist zu sein.

Es hätte nicht zum Staat gepasst, einfach so jeden dahergelaufenen Landbewohner auf die Traktoren zu lassen. Andererseits läuft auf dem Land immer alles etwas pragmatischer und informeller ab, als in der Stadt. Auch bei diesem ländlichen Pragmatismus scheint mir die DDR keine Ausnahme gewesen zu sein. Die genaue Stellung des Traktoristen nach 1960 erfordert noch Recherche. 

Traktoristische Imageprobleme


Auf jeden Fall allerdings war die Stellung des Traktoristen nie so glamourös wie Fritz es vermitteln will. Interne Untersuchungen aus der DDR aus den 1970ern fanden heraus, dass Traktoristen aus einer Auswahl von 30 Berufen fast den niedrigsten Status aller Berufe hatten. Noch schlechter schnitten nur Hilfsarbeiter und poltische Berufe ab, ganz vorne waren Ärzte und Professoren.

Das Image der Landwirtschaftlichen Berufe war auch in der DDR schlecht. So wundert es nicht, dass niemand in der Landwirtschaft arbeiten wollte. Das Klagen über mangelnde Arbeitskräfte auf dem Land, zieht sich durch die Geschichte der DDR. Letztlich konnte anscheinend nicht mal die Aussicht Traktor fahren zu dürfen die üblichen Probleme der Arbeit in der Landwirtschaft - schräge Arbeitszeiten bei oft schlecthem Wetter, Knochenjob, man lebt im Kaff - ausgleichen. Zumal die Traktoristen im Verhältnis zu all' den anderen Berufen der LPGs doch nur eine geringe Zahl der Mitarbeiter ausmachten. Die Strahlkraft des Traktoristen reichte nicht aus.

Und nach 1990 war dann sowieso alles anders. Über die Auflsung oder Weiterbestehen der LPGs könnte man noch viel schreiben - immerhin hat Juli Zeh mit ihrem roman Unterleuten damit bereits angefangen (lest diees Buch, auch wenn fast keine Traktoren vorkommen!) - aber das ist eine anderer Exkurs.

Stellenanzeigen für Traktoristen findet man zumindest noch heute, auch aus Westdeutschland. Allerdings ist der Traktorist kein klarer Beruf (mehr). Die Anforderungen eines potenziellen Traktoristen belaufen sich im Wesentlichen auf den entsprechenden Führerschein. Erfahrungen in der Landwirtschaft wären den einschlägigen Stellenanzeigen nach auch hilfreich.

Der Traktorist, gestartet wie ein Mähdrescher und geendet wie ein Handbollerwagen..

Zum Abschluss


Und weil ja heute Freitag und Wochenende ist, noch etwas längeres zum Abschluss. Die Komödie "Traktoristi" von Mosfilm (mit englischen Untertiteln);

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