Sonntag, 13. März 2016

Schwimmbad Berlin: Stadtbad "James Simon", Mitte

Zufälle gibt es. Am Wochenende sind wir noch auf der Berliner Museumsinsel und lesen dort umfangreiche Würdigungen über James Simon. Der Mäzen, der den Berliner Museen nicht nur die Nofretete schenkte, sondern diese Museen auch darüber hinaus förderte. Tags darauf bin ich dann schon wieder an einem Ort Simonschen Wirkens; stiftete Simon doch auch das erste Berliner Volksbad und bekam deswegen auch im Stadtbad Mitte seine angemessene Gedenktafel. Heute wird es historisch.


Stadtbad Mitte im Quartett "Schwimmbäder in Berlin"



Auf ihre Art sind alle Berliner Schwimmbäder historisch. Neu und aktuell wirkt keines. Eher kann die geneigte Schwimmerin wählen, ob sie lieber eine Zeitreise in die 1930er (Sommerbad am Olympiastadion), die 1950er (Sommerbad Wilmersdorf) oder in die 1970er (Hallenbad Mariendorf) antreten möchte. Für multihistorisch interessierte bietet sich das Stadtbad Schöneberg an, das die 1920er antäuscht, nur um dann in den späten 1990ern zu landen.


Selbst in dieser Sammlung der Aus-der-Zeit-gefallenen Bäder Berlins sticht das Stadtbad Mitte heraus. Es ist doppelplushistorisch. Das Bad steht dort, wo 1880 das erste Berliner Volksbad überhaupt gebaut wurde - 1880 noch Becken, sondern ausschließlich mit Duschen und Wannenbändern. Das aktuelle Gebäude mit 50-Meter-Becken stammt von 1930.



Berlin GTafel JH Simon
Bild: Berliner Gedenktafel für James Henry Simon (Gartenstraße 5, am Stadtbad Mitte). Von: Doris Antony. Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Das Bad ist Teil einer Straßenfront zwischen Mitte und Prenzlauer Berg. Mittiger und neu-berlinerischer geht es kaum. Wenig überraschend war es, dass ich auf dem Hinweg die S-Bahn mit einer französischen Schulklasse teilte, auf dem Rückweg neben mir eine Gruppe dänischer (schwedischer? norwegischer?) Jugendlicher saß. Gastronomie gibt es im Bad keine, dafür in der Nähe gleich mehrere modern-edel aussehende Cafés und Restaurants, von denen das eine, dann gleich mit einer Batterie Feinschmecker- und Gault-Millau-Aufkleber wirbt. Mitte, der Stadtteil, der sich in ganz Berlin seit 1990 am stärksten verändert hat, mit einem der historischsten Bäder der Stadt.

Ein Bad, das ausnahmsweise auch über seinen eigenen Wikipedia-Artikel verfügt.

Gebäude


Mit Stil. Gebaut 1930. Die Raumaufteilung und die gedachte Art der Nutzung erinnert noch sehr an die alten um die Jahrhundertwende gebauten Volksbäder. Aber hier hat schon die Moderne mit „Licht, Luft und Sonne“ Einzug gehalten. Wenig Schnörkel, Flachdach, klare Linien, kühle Eleganz und viel, viel Licht.

Ein Vergleich mit dem aus derselben Zeit stammenden und ähnlich wirkenden Stadtbad Schöneberg liegt nahe. Während es in Schöneberg jedoch einen klaren Bruch zwischen Außenhülle und Innengestaltung gibt, merkt man dem Stadtbad Mitte auf jedem Meter seine Entstehungszeit an. Es stammt aus Zeiten, in denen Menschen das Wort "Foyer" noch ernst genommen haben. Die Gestaltung der Innenräume nimmt die Formen des Außen auf. Eine Mischung aus schlichter Eleganz und Grandiosität. Auch in den Innenräumen erkennt man die ehedem bezweckte Nutzung in Anordnung und Ablauf der Funktionalitäten wieder.



Neben dem eigentlichen Schwimmbecken verstecken sich heute auch eine Sauna und Fitnessräume im Gebäude. Seit 2017 werden Massagen verabreicht. Anscheinend mit zum selben Gebäudekomplex gehört auch eine Rehaklinik.

Umkleidekabinen/Duschen


Als bekennender Anhänger hoher Decken in Schwimmbädern bin ich begeistert. Selbst in den Umkleidekabinen sind diese Decken mehrere Stockwerke hoch. In den höheren Stockwerken gibt es Galerien, auf die man noch unten sehen kann. Ungewöhnlich: es gibt nur vier Kabinen und die Schränke sind ein Stück weg. Verleitet stark dazu, sich im Gang vor den Schränken umzuziehen.

Die Duschen sind etwas verschachtelt, nehmen aber insgesamt eine Fläche ein, die den Ausdruck Duschhalle rechtfertigt. Ich habe schon Schwimmbecken gesehen, die kleiner waren, als hier der Duschbereich. Die Duschen sind wie das ganze Schwimmbad stylisch und überraschenderweise - wir sind in Berlin - wie das ganze Schwimmbad gut in Schuss.

Schwimmhalle


Ein Traum. Hohe Decken, riesige Fensterfronten nach vorne, hinten und rechts. Selbst links, wo der Eingangsbereich ist, lässt dieser durch weitere Fensterfronten Licht herein. Selbst die Decke ist verglast. Selbst an dem stürmisch-grauen Wintertag, an dem ich da war, war das Bad lichtdurchflutet. Dieses Bad ist selbst für den Besucher 2017 eine Wucht. Ich kann mir mühsam ausmalen, wie es zur Eröffnungszeiten gewesen ist, als dies das größte Bad Europas war, erst das zweite Bad Deutschlands mit einer 50-Meter-Bahn und alle Vorgängerbauten dicke Wände, wenige Fenster, einiges an Schnörkel und Miniaturbecken hatten. Die Zeitgenossen muss der Schlag getroffen haben als sie dieses Bad sahen.

Bei den Kacheln handelt es sich nicht um die normalen Schwimmbadkacheln in Weiß oder Türkis, sondern die Kacheln sind auch im Becken ein kleineres Modell und in einer Art blaugräulich schimmernden Braun gehalten. Alles sehr stilvoll. 

Es gibt genau ein Becken: 50 Meter mit 6 Bahnen. An einem Ende 300 Zentimeter tief, am anderen Ende 60 Zentimeter flach. Soweit so übersichtlich. Ehemals gab es auch Sprungtürme. Die fielen einer Sanierungsmaßnahme zum Opfer.

Etwas irritierend. Wie viele 50-Meter-Bahnen in öffentlichen Schwimmbädern wird die Bahn zum Ende hin flacher. Hier allerdings wird sie am Ende etwas mehr als knietief, so dass sich Schwimmen komisch anfühlt. Wenden in Würde ist komplett unmöglich. Eher fährt man seine Knie ein Stück nach unten und rutscht auf denen dann so einmal im Kreis.

Auch irritierend sind die recht starken Düsen, die Wasser in das Becken blasen. Ich glaube, es war das erste Schwimm-Schwimmbecken jemals, bei dem ich selbst in den mittleren Bereichen deutlich merkliche Querströmungen erlebte. Wobei diese von Bahn zu Bahn unterschiedlich sind. Dachte ich auf der Außenbahn schon, es wäre schlimm, landete ich dann einige Monate später auf der Mittelbahn. Ich schwamm 30 Bahnen und auf jeder einzelne dieser Bahnen wurde ich zweimal in die Leinen getrieben. 60 mal. Ein Wunder, dass ich mir nicht Hände oder Schultern an der Leine aufschürfte.Andererseits: vermutlich kann man hier gut Freiwasserschwimmen traininieren. Irritierende Querströmungen kenne ich aus dem Meer oder Seen, nicht aus Hallenbädern.

Etwas verwirrend: mittels diverser längs- und quer gespannter Leinen, war das Becken in insgesamt fünf Bereiche geteilt, deren Zuordnung und ordnungsgemäße Nutzung sich mir nicht erschloss. Einmal war ich in dem Bereich, der mir "für normale Schwimmer" zu sein schien, beim zweiten Besuch war der Bereich komplett überfüllt und ich bin auf die Sportbahn(?) ausgewichen. Beim dritten Mal gab es dann nur Längsbahnen, deren Besatzung von mäßig sportlich bis zu sehr sportlich schwankte. Aber immerhin waren alle Bahnbenutzer des Schwimmens wegen da.

Publikum


Die Berliner Bäder preisen das Bad als Sportbad an. Ausnahmsweise kann man sich darauf verlassen, was die Berliner Bäder von sich geben. Wochentags gehöre ich zum ältesten Viertel der Anwesenden und - von den anwesenden Schulklassen abgesehen - auch zur schlechteren Hälfte der Schwimmer. Ernstlich austrainiert sahen die Leute im Becken erschreckenderweise auch noch fast alle aus. Selten sah ich zu normalen Öffnungszeiten in einem öffentlichen Bad so viele Leute, die wirklich schwimmen können - selbst jemand mit sauberer Delphintechnik war dabei.

Bundesarchiv Bild 183-09989-0002, Berlin, Stadtbad Mitte
Lang ists her. Bild: Hochbetrieb in der großen Schwimmhalle. März 1951.
Bundesarchiv, Bild 183-09989-0002 / Quaschinsky, Hans-Günter / CC-BY-SA 3.0

Wochenends ging dann der Altersschnitt etwas nach oben, dafür waren mehr Kinder da und die allgemeine Schwimmfähigkeit ließ etwas nach. Dennoch war der Gesamteindruck des Publikums immer noch sehr sportlich, muskulös und durchaus des Schwimmens fähig.

Angesichts der eher hohen Auslastung des Beckens, dem hohen Anteil an Freistil- und Rückenschwimmern und dem Tempo, dass die Leute schwammen, war die Atmosphäre angenehm unfall- und konfliktfrei - die Anwesenden konnten anscheinend nicht nur schwimmen, sondern auch schauen wohin es geht.

Die einzig kleine Reiberei war dann auch ausgerechnet zwischen einem Kind (bzw. dessen Mutter) und einem der wenigen Anwesenden, die das mit dem Schwimmen nicht drauf hatten. Beim Zweitbesuch war da dann noch die ältere geschminkte Dame anwesend, die es sich anscheinend zum Plan gemacht hatte, immer allen anderen entgegenzuschwimmen. Unter normalen Umständen würde ich sowas als rücksichtslos empfinden. Angesicht der Vielzahl durchtrainierter Freistilschwimmer denen sie direkt entgegenschwamm, war es hier eher todesmutig-schmerzbereit.

Gastronomie


Keine gefunden. Es gab einen Süßigkeitenautomaten. Ein Proteinshake-Automat hätte mich auch nicht überrascht. Vom Foyer aus kann man in einen ganz nett aussehenden Cafeteria-Saal hinschauen, der gehört aber anscheinend zur Reha-Klinik im Haus, nicht zum Schwimmbad.

Preis: 

5,50€. Berliner Normalpreis.

Öffnungszeiten (2016)

Ein Schwimmbad für den Anfang der Woche:

Mo - Mi  6.30h - 22.00h
Do: 6.30h - 14.00h
Fr: 12h-22h
Sa 14-21-30h
So 10-18h.

Das ist schon mit das beste was die Berliner Bäderbetriebe für ein normales Schwimmbad anbieten.

Sonstiges


Nicht nur für Berliner Verhältnisse ein historisches Bad, sondern auch ganz persönlich: das erste Berliner Bad, das ich je betreten habe. Es war 1995, wir hatten uns ein paar Tage bei einem Freund in einer sehr unsanierten Altbauwohnung im Prenzlauer Berg einquartiert. Nach drei Tagen des Kaltwassers hatten wir den Drang nach einer warmen Dusche. Also ab ins nächstgelegene Schwimmbad, lang und ausführlich warm duschen und danach noch ein wenig Planschen.

Fazit


Zeiten ändern sich. Planschen, wie wir es 1995 taten, wäre heute schwierig. Nicht nur, dass es inmitten all' der ernsthaften Schwimmer seltsam aussehen würde - da wo die Menschen links und rechts an einem vorbeipflügen gäbe es auch ein echtes Platzproblem. Hier sollte man entweder schwimmen können oder zumindest ein gesundes Selbstvertrauen haben. Das Bad selbst ist ein Traum. Und für nur Schaulustige: man kommt relativ weit hinein und kann auch schon das Becken sehen, bevor man an den Punkt kommt, an dem man die Eintrittskarte durch den Scanner ziehen muss. Einen Besuch auf jeden Fall wert.

Update 2017

Im Sommer 2017 fand eine mittelgrößere Sanierung im Bad statt. Die erneuerten Gebäudeteile, die sich dem Besucher sofort erschließen sind sämtliche Türen, die Duschen und ich vermute auch die Fitnessräumen in den höheren Stockwerken. Zumindest sah der Blick von schräg unten aus der Schwimmhalle in die Fitnessräume letztes Mal anders aus.

Die Türen und Duschen sind nun sehr neu, relativ metall-lastig und in einem gerade aktuellen grau-weiß gehalten. Die Duschen funktionieren tadellos und, das ist eine echte Verbesserung, es gibt zahlreiche Ablagemöglichkeiten und Haken dort. Es funktioniert alles deutlich besser, leider wirkt es jetzt auch eher so wie ein privates modernes Bad und nicht mehr wie ein historisches Schwimmbad. Intellektuell finde ich die Sanierung sinnvoll, emotional schmerzt sie mich.

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Offensichtlich inspiriert von diesem Bad und doch ganz anders ist die Schwimmhalle Finckensteinallee.

Auch in Mitte und ein später Nachfolger der Baukonzeption steht die Schwimmhalle Fischerinsel. Ihrerseits der Höhepunkt des DDR-Schwimmbadbaus.

Alle Iberty-Schwimmbadposts sind unter: Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick


3 Kommentare:

schwimm-blog-berlin.de hat gesagt…

Ich freu mich immer, deine liebevollen Beschreibungen zu lesen über Schwimmbäder. Aber eine Frage: wie hast du es geschafft, gegen die Querströmung Bahn zu halten? By the way, die Strömung könnte man regulieren. Scheint aber ein Markenzeichen des Bades zu sein.

dirk franke hat gesagt…

Gar nicht :-) Mein Versuch dort geradeaus zu zwischen, sah ungefähr genauso elegant aus wie mein Versuch am flachen Ende zu wenden. Wobei mich das Ende noch mehr interessiert: die Bilder von 1950 sehen so aus, als wäre das Ende schon immer so flach gewesen. Andererseits scheinen in dem Bad mal echte Wettkämpfe stattgefunden zu haben. Wie? Sind sie die letzten zehn Meter gelaufen?

dirk franke hat gesagt…

"schwimmen" nicht "zwischen" gnarf.