Donnerstag, 4. November 2010

Tag der Abrechnung. Flattr, Nazis, Kachingle und die Normalität

Die von mir durchaus geschätzte Direkte Aktion ruft auf "Kündigt Eure Flattr-Accounts" und hofft "ein Flattr-Nachfolger wird sich schnell finden". Da kann ich ja nur sagen, einen Flattr-Ersatz gibt es bereits. Er nennt sich Kachingle. Wie ich bereits mehrfach schrieb, ist Kachingle sowieso durchdachter, einfacher, und mir seriöser vorkommend denn Flattr. Wer also wechseln will, möge sich dringend aufgerufen fühlen, die Gelegenheit zu ergreifen.

Nun ruft die anarchosyndikalistische - dieses Wort ist so super - Direkte Aktion nicht aus Gründen einfacher Anwendbarkeit zum Boykott auf. Flattr macht das, was sofort zum Ausschluss aus der Gemeinschaft anständig denkender Menschen führt: Es handelt mit Nazis. Das ist jetzt so überraschend eigentlich nicht, und schon die Pirate-Bay-Geschichte war einer der Gründe, warum ich eher mehr eigenes Geld in Kachingle und weniger eigenes Geld in Flattr stecken würde. Anscheinend aber hat das Peter Sundes/Flattrs Erfolg nicht geschadet, Flattr hat deutlich mehr Teilnehmer als Kachingle, und jetzt gibt es den nächsten Brandruf.

Öffentlich hat das Christoph Sieckendieck gemacht: Flattr — Geld verdirbt den Charakter
Kurz gesagt: die NPD hat einen Flattr-Account, es ist zu vermuten, dass die NPD über den Kanal Flattr ein paar Einnahmen erzielt.

Nun fürchte ich ja, ich dürfte den Blog-Beitrag dort nicht mal kommentieren. Tantes Blog ist mit seinem sinngemäßen Beitrag Flattr ist ein an sich unpolitisches Tool dort auf jeden Fall nicht in der Diskussion stehengeblieben. Denn in der Diskussion selbst prangt ein "Ich werde hier jeden Dummbeutel des Feldes verweisen, der behauptet, die NPD sei eine normale Partei.". Ich weiß nicht genau, ob ich darunter falle: ich halte die NPD nicht für "normal", einfach weil ich "Normalität" nicht als politische Kategorie anerkennen. Normal ist vorpolitisch, moralisch; das ist eine Kategorie, die sich Argumenten entzieht und auf Autorität und die Einhelligkeit der Gemeinschaft setzt. Das Gegenteil von offener Politik.

Politik an sich ist unnormal. Politik ist Aushandlung neuer Entscheidungen, Normalität muss nicht ausgehandelt werden, die ist ja da. Die Grundannahme, dass es unwerte und unverhandelbare Einstellungen gibt, ist mir tatsächlich deutlich zu autoritär und nachgeradezu zu deutsch. Politik als Oberlehrertum was man darf und nicht. Zugegeben: es ist effektiv, "Nazi" ist der sichere Vorwurf in die politische Bedeutungslosigkeit. Die Moralisierung hat sicher dazu beigetragen, dass in Deutschland keine rechtspopulistische Partei dauerhaft ein Bein auf die Erde bekommt.

Aber der Preis dafür ist hoch. Um eine inhaltliche Frage in richtigen Sinne zu entscheiden, beschädigt man die grundsätzliche Diskussionskultur, führt ein vorpolitisches gesundes Menschenempfinden in die Debatte ein. Diese Struktur nun wiederum ist dauerhafter als deren Inhalt. Die Gefahr, dass bundesrepublikanisches Normalitätsempfinden plötzlich durch gesundes Volksempfinden ersetzt wird, ist größer, als die Gefahr, dass Nazis in einer offenen Diskussion alle überzeugen. Autoritätsdenken ist hartnäckig.

Aber weil ich eh schon beim Thema bin. Mein Gewissen ist käuflich. Aber nicht für 5,30 € im Monat. Social Payment im Oktober:

Kachingle: Raus 5 USD (würde auch mehr, wenn ich könnte). Rein ~ 6,20 USD.

Flattr: Raus 2 € (würde auch weniger, wenn ich könnte). Rein ~ 7,30 €.

Und noch eine weitere interne Ankündigung: es ist ein neuer Monat. Diejenigen, den den Blog im Oktober geflattrt haben, dürfen das gerne wieder machen.

4 Kommentare:

elian hat gesagt…

Und wer gastbloggt jetzt im November? Bekommt Tolanor bei seiner Postingfrequenz einen zweiten Monat zugestanden?

dirk franke hat gesagt…

Tolanor hat auf jeden Fall die Zusage, hier nochmal auf die Debatte anworten zu können, die er angestoßen hat. Ich vermute beim seinem derzeitigen Blogtempo wird er uns damit bis Weihnachten erhalten bleiben ;-)

Andere mögliche Gastblogger ignorieren mich. Oder sie wollen nicht. Oder sie wollen schon, haben aber frühestens im Dezember Zeit. Gnarf.

Anonym hat gesagt…

Sich über Rechts auf "akademischem Niveau" zu unterhalten, schafft sogleich eine heimelige Atmosphäre. Schon wird alles salonfähig, man spricht von Freiheit - natürlich auch nur in der Theorie - träumt von einer erhabenen Diskussionskultur etc. pp.

Nun, die Realität schaut anders aus. Diese Partei wäre längst verboten, hätten es Regierung und Verfassungsschutz damals nicht vermasselt. Diese Partei schüchtert akut Zeitgenossen ein, verbreitet Propaganda übelster Art, begeht Volksverhetzung. Warum klagt (kaum) keiner? Nun, der Theoretiker in seinem Elfenbeinturm weiß sicher um eine Antwort. Diejenigen, die mit Rechts schon einmal Kontakt traten, sich mit der Materie beschäftigen, wissen um die Folgen.

Es tut mir leid es derart ausdrücken zu müssen, aber obige Bemerkung zu einer freiheitlichen Diskussionskultur auf dieser Basis ist schlichtweg Nonsense.

Nochmal zum Mitschreiben, wir reden hier nicht von Populismus oder gar Rechtspopulismus.

Um gegen Rechts gewinnen zu können, muß man mehr haben als nur eine Diskussionskultur und das sehe ich bei weiten Teilen der "Netzbevölkerung" nicht.

dirk franke hat gesagt…

Ich fürchte, ich muss weiter schockieren. Sowohl weil ich mich schon körperlich in ostdeutschen Kleinstädten mit Nazis auseinandergsetzt habe, auch weil mich die Diskussionsargumente trotzdem gar nicht überzeugenn. Heimelig und gemütlich ist es, zu Hause Rechts ganz furchtbar zu verdammen, da macht man sich viele einfache Freunde mit.

Und da ich Volksverhetzung als politischen Straftatbestand ablehne und Auffassung, dass der deutsche Staat bestimmen kann, welche Partein eher ablehnt, für undemokratisch halte, bin ich auch derlei Argumenten kaum zugängig. Wenn der Staat bestimmt, was seine Bürger wollen dürfen, läuft was schief.

"Propaganda übelster Art" - genau das meine ich mit wenig substanziellen moralischen Vorwürfen. Wenn man sich inhaltlich nicht auseinandersetzen will, kommt halt die Keule. Klar, wenn Nazis einschüchtern und zur Gewalt greifen, nützt es wenig, Reden zu wollen. Aber wenn sie reden wollen, macht man sich selbst lächerlich, wenn man dann einschüchtert und zum Boykott greift.

Und ich träume nicht von einer erhabenen Diskussionskultur. Ich leide unter einer Diskussionskultur, bei der Moralische Rechthaberei über Argumenten steht, bei der man sich weigert Positionen zur Kenntnis zu nehmen und bei der mangels inhaltlicher Auseinandersetzung die Frage entscheiden muss, wer am Ende die größte Keule hat. Das ist die Fortschreibung der bundesdeutschen Verfassungsschutz-Ideologie, bei der nur das akzeptiert wird, was keine Probleme stellt, was eine fortschreibung der bundesdeutschen Antitotalitarismusideologie ist, was eine Fortschreibung Unnoramler, Unwerter Politikbestimmungen von früher ist.

Undemokratische Strukturen halten sich leider deutlich länger als deren austauschbare Inhalte.