Samstag, 5. November 2022

22-11-05 WMDEDGT

Sieben Uhr. Wir wachen langsam auf und Madame bittet um Anschaltung des Radios. Bis ich mich zum Radio gedreht habe, hat im Deutschlandfunk die Presseschau mit den Kommentaren der Tagespresse begonnen. Ein journalistisches Genre, das mit bis heute erstaunt. "Die Nord-Olper Rundschau findet, dass die iranische Führung.." Warum? Für wen hat eine Relevanz, was die Nord-Olper Rundschau dem iranischen Regime empfehlen würde? Das Regime selber? Gibt es Menschen, denen der Kommentar der Rundschau noch ein Leuchtturm im wilden Wogen des politischen Meinungswesens ist? 

Über diesen Gedanken döse ich davon- Es ist Samstag, wir können dösend und internetlesend bis neun mit Kaffee im Bett bleiben. Gegen Neun treiben bis uns Frühstückshunger und ein vages Gefühl, dass es im Leben noch Anderes geben muss als Dösen-mit-Kaffe, aus dem Bett. Es folgt Frühstück mit Madames weltbestem Sauerteigbrot und diversen Aufschnitten. Der Deutschlandfunk ist inzwischen zum Wochenendjournal mit einem Bericht zur Rammstein Airbase fortgeschritten.

Die Mischung aus Das-doch-nicht-Weihnachtshotel-hat-endlich-die-Anzahlung-zurücküberwiesen und einer versuchenden auf-heute-begrenzt-Aktions-Werbemail eines Anziehzachen-Internetladens verleidet mich zum shoppen. Sie nennen es "Loungewear", ich sage dazu "IT-Fachkleidung."

Da es uns gestern zu kalt und dunkel war, um noch zum Bungalow zu fahren, packen wir langsam. Das Küchenthermometer zeigt 16 Grad, fühlt sich wach und ausgeschlafen wärmer an als die 17 Grad vom Abend vorher. Wir packen ein paar Nahrungsmittel, Unterwäsche und Bücher ein und machen uns auf Richtung Verlorenort.

Ich bitte Madame, ihren Laptop einzupacken. Mein Desktop-PC ist nicht transportabel und mein Laptop so malad, dass er auf Dauerstrom angewiesen ist. Denn heute ist der 5., der Tag von Was-machst-Du-eigentlich den ganzen Tag (WMDEDGT). Und mehr als drei Absätze kann ich auf dem Handy nicht bloggen. I need a Keyboard.

Der neu Lambda-besonnte Subaru fährt besser als seit Wochen. Fast hätte ich die Fahrt sich deutlich verzögert. Eine junge Frau mit Wolfsburger Kennzeichen ist verwirrt durch das Autobahndreieck Berlin-Funkturm. Das kann ich total verstehen. Nicht verstehen kann ich die Fast-Vollbremsung auf dem Mittelstreifen einer dicht befahrenen Stadtautobahn und das plötzlich nach-Rechts-Ziehen über zwei Spuren hinweg im Schritttempo auf die Ausfahrt. Zum Glück finden ich und alle Autofahrer*innen der näheren Umgebung rechtzeitig die Bremse, alle Autos und Insassen bleiben heil. 

Dazu läuft das Deutschlandfunk-Europa-Journal zum "Alltag im Kosovo." Madame liest im weiteren Verlauf der Fahrt vom Beifahrersitz aus die besten Stellen aus dem Guardian vor.

Bei der Ankunft gegen 12 begrüßt uns bereits ein Trupp Kraniche, der auf dem Acker neben der Ortseinfahrt steht. Es scheint die Sonne. Die neu errichtete Bank leuchtet einladend vor dem Haus, nach einer kurzen Gartenrunde lasse ich mich auf der Bank nieder und lese mich durch das Internet. 

Empfehlenswert zum Beispiel der Blog-Reisebericht "Mit Familie im Zug von Turku nach Venedig" in bisher fünf Teilen oder der Read-like-the-Wind-Newsletter der New York Times. Viel mehr Zeitungen und Feuilletons könnten doch auch mal Bücher besprechen, die nicht in den letzten drei Monaten erschienen sind. Madame liest derweil die aus Berlin mitgebrachte Print-Sonntags-FAZ.

Im Hinterkopf arbeitet die durch die Gartenrunde aufgeworfene Frage "Wenn die Wildrose neben der Mirabelle zu groß wird - wohin dann mit ihr?" Aber bisher ohne Antwort. 



Während wir sitzen, lebt das pralle Leben um uns herum. Auf des Nachbarshausdach setzt sich ein Reiher. Eine Vierergruppe Kraniche lässt sich von warmer Luft in Kreisbewegungen über uns nach oben treiben. Auf dem großen Wühlmaushügel vor uns landet eine Libelle. Admirale flattern ums uns herum. Am Ende lässt sich eine herbstermattete Hippiewespe (aka Gallische Feldwespe) auf meinem Arm nieder. 

Gartenbankblick

Der Kaptain schickt eine Signal-Nachricht vom Energiekostendrama. Immerhin: für den September-Strom gibt es eine ganz brauchbare Rückerstattung.

Es kommen die Nachbarn T und N vorbei. Sie sind auf dem zum Angeln und fragen ob wir heute Abend frisch geangelte Forellen haben möchten - aber hallo. Das Abendessen ist gesichert.

Gegen 14.30h ist die Sonne soweit um das Haus gezogen, dass die Bank im Schatten liegt. Die 11 Grad Außentemperatur sind doch etwas frisch zum Sitzen und wir ziehen auf die sonnenbeschienene Terrasse um. Irgendwann packt mich schlechtes Gewissen, dass ich ja nicht den ganzen Tag sitzen und lesen kann. Ich packe die Fernuni-Unterlagen aus und verlege mich aufs Sitzen und lernen.

Es geht: Zins, Zineszins, effektiver Jahreszins, Investitionskostenrechnung et cetera. Wir fragen uns, warum das kein Schulstoff ist. Mathematisch ist das im Vergleich zum Abistoff nun wahrlich kein Hexenwerk - und es hat im Gegensatz zu sich schneidenden Ebenen im dreidimensionalen Raum praktische Relevanz für fast Jeden.  



Um 16 Uhr, wird es dann auch auf der Terrasse zu kalt. Wir ziehen uns in den Bungalow zurück und beschließen erstmals diesen Herbst irgendwo so richtig zu heizen. Ich hole eine Armvoll Holz von hinterm Schuppen, Madame versucht sich am Entzünden des Eichhörnchenofens. Der Ofen kann sich anscheinend auch nicht mehr richtig erinnern, wie das mit dem Heizen funktioniert und leistet Widerstand.

Um mich vom effektiven Jahreszins bei stetiger Verzinsung abzulenken, spiele ich erst mit Duolingo, dann greife ich zu einem Geburtstagsgeschenkbuch "Putins People." Das Buch erschien 2020. Es hilft Vieles in der Welt zu erklären, was im letzten Jahr passiert ist. Ein gutes Geburtstagsgeschenk.



N ist derweil mit einer Forelle und einer Lachsforelle vorbeigekommen. Gegen 18 Uhr beginnt Madame mit der Zubereitung im Backofen. Dazu Schupfnudeln aus dem Kühlschrank und Salbeibutter, in Teilen aus dem Beet. Es schmeckt so fein, wie die Beschreibung vermuten lässt. 

Es knistert der Eichhörnchenofen, ich schwanke zwischen Putin und Zinseszins. Wir beschließen, dass es draußen schon sehr dunkel ist, und die Bettdecken warm und wir umziehen könnten. Vorher holen wir allerdings Schlafsachen/Loungewear/IT-Fachkleidung ins Wohnzimmer in die Nähe des Eichhörnchenofens. Niemand möchte in einen vier Grad kalten Schlafanzug schlüpfen.

Vielleicht mache ich aber auch noch eine Runde HIIT.

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