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Sonntag, 2. Juli 2017

Schwimmbad Brandenburg: Aqua Stadtbad, Hennigsdorf

Hennigsdorf? Ist das noch Berlin? Nicht mehr ganz. Der Ort liegt direkt an der Stadtgrenze und war damit zwischen 1961 und 1989 von allem abgeschnitten. Hier war Brandenburg zu Ende. Nach Westen kam die Mauer, nach Osten die Pampa. Wenn es schon komisch war, dass Berlin von seinem Umland abgeschnitten war - immerhin war Westberlin eine Millionenstadt, die sich selbst genügen konnte. Das Umland allerdings, abgeschnitten von der Metropole, zu klein für sich selbst, ausgerichtet auf das große Nichts - das ist nur noch absurd.



Heute ist Hennigsdorf weder richtig Stadt noch richtig Land, geographisch im Nirgendwo, in dem zwar einige Menschen Arbeiten (bei Bombardier zum Beispiel) und Leben, alle andere aber bestenfalls durchfahren, vom echten Land in die echte Stadt.

Dabei liegt Hennigsdorf idyllisch an der Havel, ist aber wohl doch zu industriell geprägt um Berliner Wochenendausflüglers Ziel zu sein. Ein Bad hier ist für die Menschen vor Ort und muss dementsprechende Bedürfnisse erfüllen. Ein echtes kommunales Bad also, dessen Höhenflug an Schicki-Micki bereits die Benennung als „Aqua“ war.


Wobei: es ändert sich. Das Berliner Umland wird schick. Eigentlich alle Randgemeinden haben massiven Bevölkerungszuwachs und deshalb – in Deutschland für Kommunen eher ungewohnt – Geld zur Verfügung. Allerdings sind die Zuziehenden auch eher der verwöhntere Teil der Berliner, die vermutlch mehr wollen als ein funktionales kommunales Bad.

In Schönefeld oder Falkensee baut man dann zum ersten mal überhaupt ein Schwimmbad. In Hennigsdorf wird das alte Bad – also dieses Aqua Stadtbad abgerissen – und soll irgendwann einem schickeren Neubau weichen.

Gebäude


Das Bad liegt inmitten eines typischen DDR-Neubauviertels aus den späten 70ern(?). Das Bad selbst feierte 2015 sein 35-jähriges Jubiläum. Umgeben von liebevoll hergerichteten Fünfstöckern mitten im Grünen, nebenan liegen Kita, Schule und Sportplätze. Alles sehr parkähnlich und – Supermarkt, Friseur, Blumenladen und Kneipe weisen darauf hin - auch jetzt gut belebt und in Schuss.




Aqua im Neubaugebiet. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL).



Eine typische Volksschwimmhalle Typ C. Das Bad selbst ähnelt von außen der Schwimmhalle Fischerinsel von innen überraschend stark den ganzen Westberliner Kombibädern aus derselben Zeit.

Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL).

Ein Plattenbau mit VT-Falte, halb versteckt hinter Bäumen und Grünanlagen.
Das Foyer ist funktional, am Eingang weist mich ein Schild darauf, dass ich keine eigenen Schwimmgurte und Schwimmnudeln mitbringen darf. Es sei denn, die Nudeln sind gekennzeichnet.
 

Umkleiden /Duschen


Es ist immer wieder faszinierend auf wie viel verschiedenen Arten sich das eigentlich einfache System aus „man brauche eine Eintrittskarte, einen Schrank und eine Umkleidekabine“ gestalten lässt. Hier gibt es einen klassischen Schlüssel mit Chip. Der Chip dient aber etwas nicht der Spindverschließung - das wäre zu einfach. Der Schlüssel dient dazu, einen vorherbestimmten Schrank zu öffnen und zu schließen. Der Chip stellt fest, wie lange man da war. Die Schrankschlösser scheinen noch die klassischen zu sein – also mit Münzschloss – die Münze ist jedoch nicht mehr nötig.



Etwas tückisch, wenn man das Münz-Pfand-System gewohnt ist – ich habe natürlich erstmal im Tran den Schlüssel stecken lassen und erst auf dem Rückweg fiel mir dann auf, dass ich ihn ja noch brauche um aus dem Bad wieder heraus zu kommen.

Anscheinend sollte der Chip auch mal für mehr dienen - weiter hinten Richtung Sauna/Solariumsteil konnte man wohl mal den Chip aufladen und damit Sauna- und Solariumsrechte erwerbeen - aber das System scheint eingestellt zu sein.

Die Raumaufteilung entspricht der Volksschwimmhalle C: mehrere Sammelumkleiden erreichbar über einen Gang, alle recht geräumig mit wenigen Einzelkabinen. Das Dach selbst scheint noch keine großen Lärmschutzdämmaßnahmen erlebt zu haben – das ist auch im Kabinenbereich von unten noch wellenförmig.

Das Ganze ist funktional: Hartplastik, die Kabinen eher in einem gräulichen Blau gehalten, Dusche und Toiletten in einem gräulichen Grün. Alles sauber und liebevoll gepflegt und es funktioniert – offensichtlich haben wir die Berliner Stadtgrenze hinter uns gelassen.

Das obligatorische „Zieh Dich aus“-Schild weist hier in sachlichem Tonfall darauf hin, dass man sich unbekleidet abseifen soll. Von abspülen stand da dann allerdings nicht. Auch hier zeigt sich, dass es eher ein Bad für Einheimische und Stammgäste ist: die Tür von der Dusche uns Becken ist gut getarnt.

Schwimmhalle


Die Idee ist dieselbe wie bei den Kombibädern. Ein langer, flacher Schlauch. Auf der einen Seite eine große Fensterfront, im Becken erst das Schwimmerbecken - angeblich 24 Meter lang (?!) - vier Bahnen mit weit auseinander stehenden Startblöcken gekennzeichnet – Standardkonfiguration sind eigentlich fünf Bahnen.

Direkt dahinter liegt das Nichtschwimmerbecken. Kein Sprungbrett, dafür eine Wasserrutsche, die ins Nichtschwimmerbecken führt und im Nichtschwimmerbecken für einen gewissen konstanten Wellenschlag sorgt. 

Wie in Kombibädern auch, hat das Schlauch-mit-niedrigem-Dach ein echtes Lichtproblem. Es war ein strahlend blauer Himmel, die Sonne schien bei 30 Grad. Alle Lampen im Bad waren an – und es war immer noch düster.



Das Becken selbst aus Metall – beim ersten Besuch das erste Hallenbad, das ich so sah. Spricht für eine Renovierung vor kurzer Zeit, ist angeblich auf die Dauer deutlich haltbarer und pflegeleichter als Kacheln und ob man Metall oder Kacheln lieber mag, ist glaube ich vor allem Geschmacksfrage.

Das Becken selbst war durch eine Leine in zwei Bereiche geteilt. Warum, wieso und zu welchem Zweck erschloss sich mir nicht  - aber anscheinend wurde in einer – der volleren – Hälfte eher in Bahnen geschwommen, auf der anderen eher quergeschwommen, gesprungen und alles andere was Spaß macht, aber Schwimmern echt auf die Nerven geht.

Beim zweiten Besuch dann dasselbe Aufteilung, diesmal mit Nachfrage bei den anwesenden Fachangetsellten: eine Hälte ist der Spaßbereich, die andere Hälfte der Schwimmebereich. Und ich habe es gesehen: Spaßbadende werde auch in den Spaßbereich geschickt, wenn sie sich ausversehen verbaden,

Im Sommer ist noch ein Tür nach draußen auf. Dort ist ein kleiner Gartenbereich mit Terrasse, Liegenstühlen und ein wenig dem Blick ins Grün. Nicht so luxuriös mit Liegewiese wie an anderen Bädern, aber doch genug um wenistens ein wenig Freiluftgefühl aufkommen zu lassen – zumal Hennigsdorf kein echtes Freibad hat.

Publikum


Hinter dem Bad ist ein Parkplatz „nur für Schwimmbadgäste“. Beim ersten Besuch, Wochenende strahlend blauer Himmel, 30 Grad, war ich verblüfft, ob des Parkplatzes Füllung. Immerhin liegt Hennigsdorf direkt an der Havel, Badeseen und – plätze gibt es direkt in der Nähe reichlich. Vielleicht parken da doch die Anwohner?

Ne, denkste. Es war richtig voll – Menschen von 5 bis 50 – überraschend wenig ältere, Schwimmer, Plantscher, Badende. Großer Andrang an der Rutsche, viele Familien. Mir scheint, das Bad wird vor Ort angenommen.

Gastronomie


Das „Bistro Delphin“ stand vor diversen Herausforderungen: es befindet sich direkt im funktionalen Foyer des Bades, die Umgebung sind also Fliesen und andere leicht zu reinigende Materialien und so riesig sind die Umsätze der Schwimmbadgastronomie nun auch nicht, dass es lohnt, Unmengen in Möbel und Ausstattung zu stecken. Dafür halten sie sich tapfer.

Eine Platten-Waschbetonwand diekt orange zu streichen, zeigte zumindest Engagement. Die Karte bot das übliche (Pommes, Wurst, Schnitzel) an. Der Salat hatte kleine Zahlen an der Karte, war also vermutlich mit Fertigdressing. Die Karte wies spannenderweise sowohl Filterkaffee aus der Maschine wie auch Kaffee – Tasse einzeln, frisschgebrüht – aus, als ich nur „Kaffee“ bestellt, bekam ich letzteres. Der war weder besonders gut noch besonders schlecht.

Ein paar Monate später habe ich davon nichts mehr gesehen. Kein Bistro. Kein Delphi. Zuerst dachte ich noch, ich wäre zu blind. Aber anscheinend war ich es nicht, und das Delphi ist den Herausforderungen zum Opfer gefallen. Auf jeden Fall such(t)en die Stadtwerke Hennigsdorf zum 1. Januar 2017 einen neuen Pächter.

Preise/Öffnungszeiten


Geöffnet Anfang der Woche mal ein paar Stündchen, wenn es Vereine und Schulen erlauben, Donnerstag 6.30h bis 22 Uhr, Freitag 12.30h bis 22 Uhr, am Wochenende 10 Uhr bis 18 Uhr.
Preise. Die ersten 90 Minuten 3,50€, dann 1,50 pro Stunde, höchstens 8,50€ am Tag.

Und – im Gegensatz zu Berlin – gibt es tatsächlich ein Rabatt- Stammbesuchersystem, bei dem man nicht wahnsinnig wird, beim Versuch es zu verstehen!

Sonstiges


Natürlich ist Schwimmbadpersonal eigentlich immer freundlich. Aber das Hennigsdorfer Bad verdient hier noch mal ein Extralob für Freundlichkeit und Service. Die umfassende und extrafreundliche Art, wie die Dame an der Kasse mir das Schrank/Schlüsselsystem erklärte: wow. Und dann hat sie sich auch noch an mich erinnert als ich rauskam.

Auch noch Extra-Bonuspunkte für das Fähnchen bei den Schwimmmeister: "Hier Schwimmtierverleih."



Auch noch spannend und sympathieerhöhend. Der Supermarkt nebenan mit derselben VT-Falte und netter Bemalung, ebenso wie der Stromkasten nebenan.



Fazit


Ein kommunales Bad wie es im Buche steht. Nicht schick, nicht fancy, mit Becken, Sauna und kleiner Wasserutsche und doch alles was man benötigt. Schwimmen geht gut, Liebe und Engagement sind an jeder Ecke zu bemerken. Wenn ich das Hennigsdorfer Bad mit dem idealtypischen „Hallenbad in Deutschland“ vergleiche, kommt es schon nahe ran.

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Alle Iberty-Schwimmbadbeschreibungen liegen unter Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick. 

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