Seiten

Freitag, 3. September 2010

Deep, down and dirty.

Panische Schafherden blöken laut, und so ein bißchen erinnert die deutsche Medienlandschaft ja an eine dauerpanische Schafherde. Kein Wunder, dass man neben Sarrazin gerade kaum etwas zum Thema Einwanderung hört. Aber wie die Schafherde so ist, sie wird weitertrotten, und Sarrazin taugt nicht genug als Demagoge um politisch je wirklich wichtig zu werden.

Wichtig hingegen ist die gesellschaftliche Strömung, auf die er aufsetzt. Vermutlich ist die Strömung nicht so groß, wie die Beschwerintensität vermuten lässt. Aber wenn die SPD sich schon genötigt sieht, sich bei ihren Mitgliedern für den Rausschmiss zu rechtfertigen, muss sie da sein. Aber was will sie, wohin strömt sie? Bis zum sozialdarwinistischen Kern seiner Thesen scheinen mir nur die wenigsten Leute Sarrazin zu folgen; dass sie alle rassistisch sind, ist zwar eine einladende Aussage, springt aber auch deutlich zu kurz.

Ich hatte ja schon mal gemutmaßt, wo Sarrazins Resonanzraum eigentlich hallt. Glücklicherweise aber haben wir ja mittlerweile Empörung 2.0, man kann dem Volk aufs Maul schauen, und ich mag es ja eher deep, down and dirty. Einfach mal konzentriert in die Kommentare einer Zeitung zum Thema schauen, was genau die Leute denn nun wollen. Die Zeit nehme ich, weil mir die selbst oft eher zu possierlich und gemessen ist, und ich hoffe, da eher den possierlich-gemessenen Teil der Internetempörten abzugreifen.

Natürlich gibt es ein paar Unwägbarkeiten zu beachten: Leute, die im Internet kommentieren, sind kein breiter Bevölkerungsschnitt. Die Zeit wird ihre Diskussion sicher moderieren, so dass die heftigeren Ausfälle und steileren Theorien nicht mehr im Kommentarstream auftauchen.

Ich nehme den Artikel Zurück ins Vorgestern, der einen allgemeinen Ansatz hat, so dass die Diskussion hoffentlich nicht in Detailfragen abgleitet. Mir geht es nicht darum, dass inhaltlich zu diskutieren. Erstmal will ich nur wissen, warum ein komischer Alter Mann solche Reaktionen auslösen kann.



Insgesamt hab ich 250 Diskussionsbeiträge gelesen, dabei stellen die Sarrazin-Anhänger eine Mehrheit, gegen Ende der Diskussion nimmt diese allerdings etwas ab. Vielleicht sind seine Anhänger schneller als die anderen? Oder nur Ungeduldiger? Wie üblich bei solchen "Diskussionen" gelingt es keinem einzigen Diskussionsteilnehmer, einen anderen von irgendetwas zu überzeugen.

Geachtet hab' ich vor allem darauf, was seine Anhänger oder Verteidiger sagen, die sind ja der Resonanzraum, der mich interessiert. Aber mir fiel doch auf, dass mein Hüftschuß vom letzten mal "Vorwärts in die Vergangenheit" anscheinend wirklich ein Treffer war. Bei einem Thema, das ja um Deutschlands Zukunft geht, hat nicht ein Diskussionsteilnehmer eine positive Vision. Weder ide Sarrazin-Verteidiger noch die Gegner. Die Frage ist eher, ob es schlimm oder ganz schlimm wird und vor allem, wer Schuld daran ist.

Auch relativ deutlich ist, dass Sarrazin sich mit seinem Biologismus auf Abwege begibt. Da mag fast kaum einer drauf einsteigen. Und diejenigen, die dem zustimmen, stimmen wohl eher vage dem allgemeinen Prinzip zu: "Denn erst wenn man in Deutschlanf über "Gene" (unabänderbar) redet, bewegt (und bezahlt) sich der Gutmenschenmob." Selbst prinzipielle Befürworter Sarrazins aber wiegeln bei den Thesen ab und reden von "Nebenschauplätzen, auf die Sarrazin sich dummerweise hat drängen lassen". Und überhaupt "So muss man sich zwingend fragen, warum so bekannte Intellektuelle wie G. di Lorenzo oder Frau Stern, an einzelnen Worten im Buch reiten, statt zu versuchen den Sinn des Buches zu verstehen."







Werden wir morgen noch alle zu Essen haben?







Relativ deutlich ist, dass wenige Teilnehmer fühlen, dass ihre konkreten Probleme in der Debatte aufgegriffen werden. Diese sind aber deutlich in der Minderheit. Einer beklagt sich, er sei seit Jahren in Integrationsprojekten, und kein Migrant hätte ihn je dafür gelobt, ein anderer beschwert sich, seine vierjährige rede von "Schlampen" und ähnlichem, seitdem sie türkische vierjährige in der Kita trifft.

Generell überwiegt ein eher allgemeiner Diskurs, der sich auf Statistiken, gefühlte Fremdheit, allgemeine Ablehnung des Islam oder ähnliches bezieht. Der kann auf den echten Problemen aufbauen: "Geduld können ja die 68er Rentner haben - nicht aber wir junge Eltern, deren Kinder jetzt funktionierende Schulen brauchen" oder "dass wir insbesondere bei den türkisch-arabischen Mitbürgern ein echtes Bemühen, einen sichtbaren Willen zu wirklicher Eingliederung vermissen. Die absentieren (ghettoisieren) sich eher mehr", kommt aber natürlich nicht ohne jede Menge Stereotype und Verallgemeinerungen aus.

Das kann rational sein, "Man hat Lehrer [jahrzehntelang] gnadenlos vor Schulklassen gestellt, in denen kaum jemand Deutsch sprach und hat sie den normalen Lehrplan abspulen lassen-völlig sinnlos, wie nachvollziehbar ist", aber auch komplett irrational: "Die Mehrheit der Deutschen ist nicht fremdenfeindlich. Sie hat aber Angst vor den Schwertversen im Koran". Scheint insgesamt auf "Warum können sich Italiener, Polen und Vietnamesen integrieren, Türken und Araber aber nicht? Vielleicht liegt es ja doch an den Islam-Mentalität" zuzulaufen.

Spannend der Diskussionsteilnehmer, der wiederholt auf ähnliche Statistiken für Italiener wie für Türken hinweist und demgegenüber die statistisch gute Integration der Iraner stellt, aber auf keinerlei Resonanz trifft.

Allgemeinen Kulturkampf gibt es natürlich auch, der ist relativ gleichmäßig zwischen "zuviel Allah" und "zuviel BMW" aufgespalten, gern auch zusammen in einer allgemeinen Attitüde von "Macho-Alluren, Körperkult und Übersexualisierung". Die gelungene Integration heute sei wohl, dass "Türken und Türkischstämmige würden jetzt nicht mehr bei Allah, sondern bei "ihrem BMW" schwören". Und überhaupt die Kriminalitätsstatistiken.

Natürlich muss in so einer Debatte auch der allgemeine Deutschtumskomplex zu Tage treten: "Manchmal bekommt man das Gefühl, das eigentliche Ziel unserer Herr Politiker sei die Ausmerzung aller deutschen Elemente in diesem Lande" und überhaupt "Ich hätte mir auch gewünscht, dass man die Deutschen gefragt hätte, ob ihr Land Einwanderungsland werden solle, was niemand anders zu entscheiden hat als die Eingeborenen selbst."

Dann gibt es noch den Bereich der Verschwörungstheorien. Bei dem gehe ich stark davon aus, nur den Bruchteil zu sehen, den die Zeit nicht gelöscht hat. In der Diskussion steht noch semiverklausuliert "Brauchen wir immer noch einen Abschlußbericht, aus der jüdischen Gemeinde?", da kann man sich dann denken, was in Gänze da stand. Nicht ganz so antisemitisch: "Der vorauseilende Gehorsam von Politikern und Institutionen aufgrund der öffentlichen Hatz soll offenbar von den Versäumnissen und vom Selbstbetrug der politischen Klasse (zugunsten derjenigen, die von den Billigjobbern der Zuwanderung profitieren) ablenken und Sarrazin zum Sündenbock." Eher bedrohlich klingend finde ich ja Aussagen wie: "Es wird vielmehr konkrete Namen geben, nämlich alle, die das Buch verissen haben, die konkret zur Verantwortung gezogen werden müssen!"









Steht ein Kulturkampf bevor?







Was aber durchaus auch spannend war. Der mit Abstand größte und emotionalste Teil der Posts bezog sich gar nicht auf Sarrazin oder Muslime oder Integration, sondern regte sich eher über die Medien und Politiker auf. Jede verbale Handbremse, die in den eigentlichen Integrationsbeiträgen noch angezogen war, bricht jetzt auf. "Nun kommt jemand der genau den Finger da reinsteckt wos den Politikern besonders weh tut ... ... mit oberlehrerhafte Bevormundung durch den Zeitgeist ... Hexenjagd ... Meinungsverfälscher-Eliten ... totgeschwiegen ...Gleichschaltung ... auf Teufel komm raus soll ich das Buch nicht lesen ... Wer in der Öffentlichkeit nicht die Meinung einer Multikulti und Pro EU vertritt muss „Übergeschnappt“ sein. So empfinde ich die derzeitige Situation in Deutschland ... der Bevölkerung wurde eine eigene Meinung doch abgesprochen. Das ist das Tabu ... in den Redaktionsstuben der 'Elite'medien säßen nicht wenige, vielleicht genmanipulierte Pavlov-Hunde-Mutattionen ...Das ist ja wie DDR, entweder du spielst mit oder du verlierst deine Existenzgrundlage ...der Kritiker nach bekannter Methode beruflich vernichtet worden. ... Wir haben in Deutschland keine Meinungsfreiheit, sondern nur noch das Recht auf Bekanntgabe unserer Ansicht ...Heisig war extremem Druck durch die Kreise ausgesetzt, die jetzt auch die durch Sarrazin entfachte Diskussion unterdrücken wollen ... Àlles Kasperle- Theater! Und alles Propaganda- Fernsehen via Zwangsgebühren! ...dass es sich um eine Kampagne handelte, um Sarrazin fertig zu machen wegen der zu befürchtenden Unruhe im Multi-Kulti Hain ... hat früher im Politbüro der DDR gearbeitet... "erbarmungslosem Meinungsterror " Hochemotionale Verbalsisierung der Aussage: "Das lässt den Schluss zu, dass Politik und Bevölkerung deutlich unterschiedliche Sprachen sprechen".

Zumindest hier also eine durchaus aufschlußreiche und vor allem aber explosive Mischung, die die Diskussionspartner. Einige reale Probleme, verstärkt durch Rassimus und emotionale Ablehnung und vor allem befeuert durch einen tiefen Vertrauensverlust in die Eliten und eine gefühlt komplett hoffnungsfreie gesellschaftliche Zukunft. Das ist noch kein politisches Programm, aber eine Blase, die man einfach und leicht anstechen kann mit explosiven Folgen. Und man wird sie sicher nicht los, indem man jetzt das fröhliche Schlag-auf-den-Sarrazin-Bohei veranstaltet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen