Mittwoch, 26. August 2020

Badestelle Lochower See, Sternenpark Westhavelland

Kennt ihr das schwedische Bilderbuch „Olivia och Oscar badar i sjön“ („Olivia und Oscar baden im See“)? Die Bilderbuchkinder laufen mit ihren Handtüchern an den Bilderbuchsee? Olivia schwingt sich vom Baum ins Wasser. Oscar ist bereits einige Meter voraus geschwommen.


Badestelle Lochower See
Badestelle Lochower See

 

Am Ufer neben der Badestelle zeigt die Alice dem Matteo, wie man Karpfen angelt. Die Eltern holen Picknick aus dem Holzkorb. Aber, ach, großes Drama! Mücken und Bremsen! Aufregung! Rufen! Weinen! Trösten! Schnell müssen die Kinder mit mitgebrachtem Eis versorgt werden. Abends sitzt die Familie mit Saft und Wein am Seeufer und betrachtet Händchen haltend den Sternenhimmel, der sich im Wasser spiegelt.


Ich kenne dieses Buch nicht. Vermutlich existiert es nicht. Keine Bilderbuchfamilie am Bilderbuchsee. Aber das Vorbild existiert. Der Lochower See zeigt sich, als wäre er direkt einem schwedischen Bilderbuch entstiegen. Der kleine überschaubare See im Wald, mit niedlicher Badestelle, ein paar angelnden Jungs nebenan, ein paar Familien und uns. Wüsste ich es nicht besser, würde ich glauben, das Fremdenverkehrsamt hätte inszeniert.

Der See


Der Lochower See hat laut Wikipedia sechs Hektar. Das sind etwa 300 mal 200 Meter – überschaubar. Um den See herum wächst Wald. Mehrere Zugänge für Angler existieren, ebenso wie eine Badestelle mit Bäumen, Wiese, Mülleimern. Wie es sich für einen See am Ende der Welt gehört hat er weder Zu- noch Abfluss.



Der Lochower See mit Schilfrand
Sechs Hektar Wasser warten


 

Aber wir sind im Havelluch, im wässrigen Kern des Havellands. Die Havel mit ihren Seen, der Große Havelländische Hauptkanal zur Entwässerung und alle Art weiterer Gewässer liegen nahe. Land ist hier mühsam entwässerte und gefundene Ausnahme, Wasser und Sumpf waren einst die Regel. Ein See wundert nicht.

Lochow


Nach Lochow fahren wir von Norden etwa fünf Kilometer über einen alten DDR-Plattenweg durch Marschland entlang des Großen Havelländischen Hauptkanals. Wir fragten uns, in welchem Sumpfloch wir landen, sollten wir aus Versehen die Platten verlassen. Trotz weitem Ausblick über die Wiesen sahen wir keinen anderen Menschen. In Gedanken sah ich den Starkregen, die Flut und quadratkilometergroße Überschwemmungsflächen um diesen Weg herum.

Waldweg zwischen Ferchesar und Lochow
Fünf Kilometer Hauptstraße nach Lochow.

Nach Lochow fahren wir von Süden einen Waldweg entlang, der offensichtlich ein alter DDR-Plattenweg war und in den letzten Jahren behutsam renoviert wurde. Menschen sahen wir keine. Andere Zuwege existieren nicht.


Open Street Map Karte Lochow und Lochower See
Lochower See zwischen Wassersuppe, Ferchesar und dem Nichts. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL).

 

Nach dieser Anfahrt die durch zwei typische brandenburgische Arten von Ödnis führen, landeten wir in einem Ort mit sechs Einwohnern. Darüber hinaus hat er eine jahrhundertelange Geschichte: Es gab Alt-Lochow (fiel wüst vor dem Jahr 1200), Neu-Lochow (fiel wüst vor dem Jahr 1375) und Jetzt-Lochow.

Reste slawischer Befestigungsanlagen deuten darauf hin, dass Lochow einst ein Hafen war, als der Große Havelländische Hauptkanal noch Rhin hieß und ein echter Fluss war. Heute besteht die Bedeutung des Ortes daraus, dass er so einsam liegt. In Lochow befinden sich deutlich mehr Ferienhütten als Einwohner, denn hier ist ein Zentrum des Sternenparks Westhavelland. 

Subaru-Logo mit den stilisierten Plejaden
Das perfekte Auto für den Besuch im Sternenpark

Sternenparks sind in Deutschland ein recht neues Konzept. Sie gehören zur Gruppe der internationalen „Dark Sky Places“, Schutzgebiete, in denen der Nachthimmel besonders Dunkel ist und bleiben soll. Dazu gehört eine menschenleere Gegend (wie hier das große Nichts im Zentrum des Dreiecks Berlin-Magdeburg-Schwerin) und ein Schutzplan.

Das bedeutet zum Beispiel, dass Straßenlaternen selten sind und ausschließlich nach unten strahlen, Auflagen an Leuchtreklame et cetera. Im Jahr 2020 existieren vier Sternenparks in Deutschland. Wobei der 2011 eingeweihte Sternenpark Westhavelland der älteste ist. Mit Gülpe im Zentrum des Parks liegt hier der dunkelste Ort Deutschlands.

Der Schwan


Der Schwan ist eines der auffallendsten Sommersternbilder. Zu finden ist er am oberen Rand des Sommerdreiecks und auf den ersten Blick, fantasielos wie ich bin, sieht er aus wie ein Kreuz. Nach Einbruch der Dämmerung erscheinen die Sterne des Sommerdreiecks am südlichen Himmels.

Wir haben uns die Liegestühle auf die Rasenfläche vor dem Haus gestellt und sehen zu, wie der Abend immer dunkler wird. Madame informiert mich, dass das Sommerdreieck aus Deneb, Wega und Altair besteht. Um Deneb (links oben) sollte der Schwan zu sehen sein. Der Rotwein wird langsam weniger, ebenso die Helligkeit. 

Die Sternbilder Schwan und Leier tauchen auf dem Nachthimmel auf.
Es wird dunkel und der Schwan (links) taucht auf. Bild: Cygnus & Lyra animated constellations von: Michelet B Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

 

Die sächsische Partygesellschaft in den Finnhütten ist durch das halbe Dorf hörbar. Weitere Sterne gehen auf. Ein Ansatz von Milchstraße ist im Schwan erkennbar.

Wir haben uns umfangreich mit Büchern und Sternenkarte und Rotlichtlampe vorbereitet. Nur jegliche Optik blieb zu Hause. Egal. Wer nichts kennt, kann vieles Neues entdecken. Der Hauptzweck, das Staunen, erfüllt sich.

Sommerdreieck, Nahaufnahme. Bild: : A wide field image of the region of sky in which HD 189733b is located. In this image we can see the asterism of the "Summer Triangle" a giant triangle in the sky composed of the three bright stars Vega (top left), Altair (lower middle) and Deneb (far left). HD 189733b is orbiting a star very close to the centre of the triangle. Autor: NASA, ESA
Credit: A. Fujii Lizenz: Images and videos published on spacetelescope.org are, unless explicitly stated otherwise, cleared for reuse without needing to contact the individuals or organisations listed. Their names must not be removed from the credit, however.
 

Gelegentlich flitzt ein Meteor vorbei. Es ist Perseidenzeit. Die Lightshow am Himmel findet mit Special Effects statt. Der Schwan zeichnet sich vor dem dunkler werdenden Umfeld ab. Ich versuche, den Nacken kurz wieder gerade zu ziehen, nun dreht sich auch die Erde und ich taumele fast gegen den Liegestuhl. Lieber zum Schwan schauen.

Das Baden


Am Lochower See kann man liegen. Das Publikum rekrutiert sich vor allem aus den umliegenden Ferienhüttenbesuchern. Die Nachbarorte (Ferchesar, Stechow, Hohennauen) besitzen eigene Badeseen. Die Lochower selbst haben Besseres zu tun als sich auf Wiesen zu legen.

Bank und Baum am Lochower See
Hier lass' dich nieder.
 

Wir liegen, lesen, freuen uns am Schatten. Frühmorgendlich erklären sich zwei Grundschüler gegenseitige das Karpfenangeln. In der Ferne rückt ein aufblasbares Einhorn an. Wir beschließen, wieder ins Wasser zu gehen.

Die Nutzung als Badesee zeigt sich. Der Weg ins Wasser ist frei von Pflanzen. Aus dem Weg getrampelt von den Badegästen des Juni, Juli und Augustes. Er  besteht aus angenehmen, festem Sand. Mit jedem Schritt wird es einige Zentimeter tiefer. Selbst bei 32 Außentemperatur deutet der See an, dass er ein kalter schattiger Waldsee sein möchte.

Blick durch die Uferbäume auf den See
Wer nicht schwimmen will, kann liegen und lesen.

 

Auf älteren Fotos sah ich Wasserpflanzen im Wasser. Ich sehe keine. Algen wachsen links und rechts des Badebereichs am Boden. Dort, wo ich (1,87m) nicht mehr stehen kann, geht es steiler bergab. Der Übergang von „Ich stehe bequem auf den Füßen mit dem Kopf aus dem Wasser“ zu „Selbst auf den Zehenspitzen bleibt mein Haar untergetaucht“ ist kurz. Aber wir sind zum Schwimmen da, nicht zum Stehen.

Geradeaus, auf dem Rücken, vielleicht tauchen. Hier liegt so überzeugend ein Badesee, dass ernstliches Schwimmen sich auf kaum mehr als 20, 30 Meter am Stück erstreckt. Danach fühlt es sich falsch an.

Nach etwa 40 Metern wird das Wasser fühlbar kälter, die Zahl der Pflanzen nimmt zu. Wie um noch einmal klar zu machen, dass es hier eine Naturbadestelle ist.

Erfreulich: mangels Zu- und Abfahrt gibt es keinerlei Boote oder gar Schiffe auf dem See. Nicht einmal ein SUP sahen wir. Nur Schwimmer, Plantscher und Bremsen.

Bremsen


Die Natur gibt die Naturbadestelle nicht einfach auf. Sie schickt die Regenbremse vor. Die Regenbremse (Haematopota pluvialis)  zeichnet sich dadurch aus, dass sie lautlos anfliegt. Aktiv ist sie am späten Vormittag und am frühen Nachmittag, bevor sie abends von den Stechmücken abgelöst wird. 


Regenbremse auf Rose
Regenbremse auf Rose, Bild: Common horse fly (Haematopota pluvialis) resting on culture rose (Rose sp.) old flower. Found in Bērzi, Bauska Municipality, Īslice parish, Bauska Municipality, Latvia. von: AfroBrazilian Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International
 

Mein Vorteil: Der Bremsenbiss ist leicht schmerzhaft. Ich bemerke sie in dem Moment, in dem sie beißt. Ich kann versuchen, sie im Augenblick der Tat zu erschlagen und das Schlimmste zu verhindern. Mein Nachteil: Ich bin zu langsam. Vorteil: Der Biss juckt weniger als ein Mückenstich. Der Nachteil: Die Stelle wird groß, rot, schwillt stark und sieht beunruhigend aus. Besonders wenn man so attraktiv für Regenbremsen ist wie ich und mehrere der Bisse über- und nebeneinander hat.

Ob Anti-Brumm hilft wissen wir nicht. Lang es an mangelnder Wirksamkeit oder an nachlässiger Anbringung? Auch hier zeigt sich der See wie alten Kinderbuch als Seen und Wälder noch voller Insekten waren.

Gastronomie


Restaurants gibt es fünf Kilometer entfernt in Ferchesar, wenn sie offen hat. Nächstgelegene Versorgungsstelle ist ein Imbiss am Badesee in Ferchesar. Die Unterlagen unserer Herberge informieren uns, dass das „Stadt Rathenow“ die besten Kohlrouladen hat. Aber das würde bedeutet, mehrere Kilometer auf dem Ex-Plattenweg durch den Wald. Selbst ist der Badegast.

Das Lochowbad


Der Westberliner denkt bei dem Wort Lochow-See an das Lochowbad.
„Lochowbad“, gerne auch als „Lochobad“, ist die umgangssprachliche Bezeichnung für das Freibad in Schmargendorf im ehemaligen Bezirk Wilmersdorf. Offiziell heißt es „Sommerbad Wilmersdorf“.

Letztlich ist das Bad nach dem See benannt. Der etymologische Weg vom See zum Bad ist länger, verläuft aber direkt.


Sommerbad Wilmersdorf, mit Bärenbrunnen, Katzenminze und einer Bank auf der "Lochow" steht.
Eingangsbereich im Sommerbad Wilmersdorf.

 

Das Wilmersdorfer Sommerbad – „Lochowbad“ ist benannt nach dem Lochowdamm – der Straße, an der das Bad einst lag. Die Straße existiert weiterhin, trägt seit 1968 aber einen anderen Namen. Nur im Lochowbad hält sich der alte Name des Lochowdamms.

Der Lochowdamm wurde benannt nach Ewald von Lochow, einem deutschen General im Ersten Weltkrieg. General Ewald von Lochow stammte aus dem Adelsgeschlecht derer von Lochow, das sich zu seiner Zeit längst in Mecklenburg niedergelassen hatte. Bevor die Lochows nach Mecklenburg zogen, hatten sie ihren Stammsitz in Neu-Lochow (wüst gefallen vor 1375). Benannt ist das Adelsgeschlecht nach Ort und See.

Somit heißt der Ort nach dem See, die Familie nach dem Ort, der General nach der Familie, die Straße nach dem General und das Bad nach der Straße. Oder weniger kompliziert: Das Bad heißt nach dem See.

Olivia und Oscar


Wenn Olivia und Oscar fertig mit dem Baden sind, und sie genug Sterne gesehen haben, können sie im Fluss baden. Die Havel ist nebenan. Oder „Olivia und Oscar schauen durch das Riesenfernrohr“. Das steht im nahe gelegenen Optikpark Rathenow – das Buch kann ich mir entweder als besten DDR-Technik-Kitsch oder als postmodernes Gartenschau-Farbwunder vorstellen.

Moderner wäre Oscar und Olivia beim Stand-Up-Paddling. Aber das Buch, das ich wirklich lesen möchte, das nicht weit entfernt vom Lochower See spielen könnte, wäre „Oscar und Olivia auf dem Truppenübungsplatz.“ Abenteuer, Politik, Natur. Was alles in Gegenden passieren kann, in denen die Menschen spärlich sind. 

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Für Schwimmer, nicht allzuweit entfernt: Das Marienbad in Brandenburg an der Havel

Sternenparkbesuchen für Anfänger im Clear-Sky-Blog.

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