Freitag, 8. Juni 2018

Erstes Freibad Berlins: Deutsches Stadion

Ein Mann steht vor mir. Ein braungebrannter, brustbehaarter älterer Herr lehnt sich an die Tribüne des Olympiabads, ein bisschen rundlich, aber darunter sind noch Muskeln zu erkennen. Um den breiten Hals liegt ein Goldkettchen. Die Badehose scheint mir rosa-bunt zu sein. Ich denke „West! West! West-Berlin!“.  Dabei bin ich doch im äußersten Westen der Stadt angekommen, um Spuren eines alten Gesamtberlins zu finden. Als ein Besuch im Freibad noch nicht bedeutete, ältere Herren lässig lehnend zu treffen, sondern:

„Lachende Jugend darin. Gebräunte Gestalten überall bei fröhlichem Tummeln; heiteres bewegtes Treiben – und doch liegt Ernst im Spiele.“

Hier im Westend, neben dem heutigen Olympiastadion, steht der Rest des ersten Berliner Freibads überhaupt: eine Säulenreihe in antiker Anmutung. Weil Säulenreihen noch nie typische Freibadbauten waren, wird deutlich, dass jenes erste Bad kein normales Freibad war.

Das Bad. Gut zu erkenne die Säulenreihe, durch die die Athleten kamen. Ausschnitt aus A Deutsches Stadion megnyitó ünnepsége 1913. június 8-án. Fortepan 86192.jpg . FOTO:FORTEPAN / Schmidt Albin Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported


In Berlin stand einst ein Freibad mit 100-Meter-Becken und einem 10-Meter-Sprungturm. Im Becken schwammen Karauschen und andere Fische, die das Wasser säuberten. Dieses 100-Meter-Bad, mit mehreren Tausend Tribünenplätzen, war nicht etwa der Endpunkt einer langen Entwicklung, sondern das erste Sommerbad(*), das je in Berlin gebaut wurde! Willkommen zum Bad im Deutschen Stadion.

Das Bad war das größte Freibad, das Berlin je hatte. Gebaut und geplant ohne großartigen Erfahrungen mit dem Bau einer solchen Anlage und eigentlich auch eher als „Beiwerk“ eines größeren Stadions. Letztlich erwies es sich wie das gesamte Stadion als wenig anforderungsgerecht und sollte bereits 21 Jahre nach seiner Eröffnung durch einen neuen Bau ersetzt werden.


Das Stadion fiel der Berliner Olympiabewerbung 1936 zum Opfer – die Olympischen Spiele selbst fielen wie alle Planungen für das Olympiagelände den Nazis zum Opfer, die kurz vor Olympia an die Macht kamen und alles in ihrem Sinne änderten. Aber das soll in diesem Post keine Rolle spielen. Das erste Berliner Freibad war Vor-olympisch, und Vor-Nazi und existierte von 1913 bis 1934.

Ein Schwimmbad neben einer Radrennbahn, um eine Laufbahn um ein überdimensionales Fußballfeld, in die Erde gebaut inmitten einer Pferderennbahn, über die der Zugang ging. Bild: A Deutsches Stadion megnyitó ünnepsége 1913. június 8-án. Fortepan 86196 Von: FOTO:FORTEPAN / Schmidt Albin Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported


Vor dem Freibad


Vor dem Freibad waren der See und der Fluss. Seen und Flüsse entstanden Milliarden Jahre vor der Menschheit. Und bevor die Menschheit begann, Freibäder zu bauen, nutzte sie die natürlich vorkommenden Gegebenheiten.

So einfach war dies in Berlin des 19. Jahrhunderts nicht. In Berlin kamen zum Schwimmen vor allem die Spree und die Havel infrage. In Preußen herrschte seit dem 18. Jahrhundert ein Badeverbot in diesen Gewässern. Gerade im 19. Jahrhundert, zu Beginn der Industrialisierung und vor Einführung einer stadtweit funktionierenden Abwasser- und Müllentsorgung, war es sensorisch nicht immer angenehm in diesen Flüssen zu schwimmen. Den Gestank ergänzten höchst konkreten Gefahren, die von größeren Müllteilen, Balken, Bauabfällen und toten Tieren – aber eben auch von Kähnen und Booten - ausgingen, die damals im Fluss schwammen.

Also gab es ab dem frühen 19. Jahrhundert Badebassins in der Spree – sei es in der Form von Badeschiffen oder temporären Aufbauten im Fluss. Da waren zum Beispiel die Bäder der Halloren oder die Von Pfuel’sche Badeanstalt am Oberbaum.

Diese Bäder waren aber immer noch relativ klein und von den Unbilden des Flusses und der Natur abhängig.

Revolution!


Anfang des 20. Jahrhunderts setzte die Revolution ein: das städtische Hallenbad. Entstanden aus echten „Bade“-anstalten in denen es vor allem Duschen und Badewannen gab, wiesen diese ersten Hallenbäder seit dem späten 19. Jahrhundert echte Schwimmbecken auf. In Berlin entstanden Hallenbäder in Moabit (1892) und Friedrichshain (1893). Kurz darauf (1898) zog die damals noch selbständige Stadt Charlottenburg mit der Schwimmhalle Charlottenburg nach. So war dann für die Schwimmenden gesorgt, die im Winter in diesen Hallen und im Sommer in der Spree schwimmen konnten.

Ebenfalls zum Ende des 19. Jahrhunderts hin entwickelte sich der Sport. Der wollte Wettkämpfe durchführen und spätestens mit den Olympischen Spielen entdecken auch Städte und Staaten, dass Sportwettkämpfe repräsentativ sein konnten und dementsprechende Bauten erforderlich machten.

Berlin bewarb sich um die Olympischen Sommerspiele 1916 und erhielt den Zuschlag. Dafür bedurfte es eines Stadions. Auch die Schwimmwettbewerbe sollten nicht in einem verdreckten Fluss von einem Badekahn aus stattfinden, sondern in entsprechend repräsentativer Umgebung: Ein Hallenbad im Freien – ein Freibad musste her.

Das Sommerbad entstand! Ein eigenes Becken musste gebaut werden, mit eigener Wasserversorgung, ganz unabhängig von den Launen der Natur, der Schiffer und der müllentsorgenden Menschen.

Daraus entwickelte sich dann das Sommerbad oder Freibad mit Liegewiese, Eis und Pommes, Rutschen und all‘ den freibadspezifischen Einrichtungen wie wir sie kennen. Seit 1913 in Berlin!

Das erste Bad hatte allerdings nichts mit Eis und Pommes oder auch nur sportlich angehauchtem Freizeitvergnügen zu schaffen: hier ging es nicht um Gesundheit und Erholung oder gar Spaß. Hier ging es im Sport und Repräsentativität. Das erste Berliner Freibad war größer als man es sich überhaupt vorstellen kann. Es lag an zentraler Stelle. Es existierte von 1913 bis 1934.


Das erste Bad der Stadt


Das Bad im Deutschen Stadion war kein Freibad im heutigen Sinn, sondern bestand im Wesentlichen aus einem  100-Meter(!)-Becken (bei 22 Metern Breite) inmitten eines Stadions.

Stadion, in dem das 100-Meter-Freibad optisch verschwindet. Bild: A Deutsches Stadion megnyitó ünnepsége 1913. június 8-án. Fortepan 86197 Von: FOTO:FORTEPAN / Schmidt Albin Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported


Das Stadion hatte eine 666-Meter-Radrennbahn, darin eine 600-Meter-Laufbahn, in der Mitte eine 110-Meter-Fußball-Feld und an seinen Außenseiten zwei „Turnfelder“. Das Schwimmbecken lag direkt vor der zurückgesetzten Haupttribüne mit Kaiserloge parallel zum Fußballfeld. Zwar sollten Bad und Stadion auch dem Schul- und Vereinssport dienen: offensichtlicher Hauptzweck waren aber Großveranstaltungen.

Die Tribünen fassten etwa 30.000 Menschen (11.000 Sitz, 18.000 Stehplätze dazu 3.000 Plätze direkt am Schwimmbecken), direkt zum Stadion führten „Aufmarsch-Wege“, neben der Tribüne war ein „Aufmarsch-Platz“ hergerichtet.

Um das Stadion herum befand sich zudem eine – ältere – Pferderennbahn. Das Stadion war dem Vorbild antiker Stadien nachempfindend – in die Erde hineingebaut. So war also das Schwimmbad ein Becken eingezwängt zwischen Radrennbahn und Tribüne innerhalb eines Stadion, das sich innerhalb einer Pferderennbahn befand.


Der würdige Ernst


Sofort fällt der heilige Ernst beim Lesen der zeitgenössischen Quellen auf, mit dem die Beteiligten das alle angehen: „Lachende Sonne darüber – und lachende Jugend darin. Gebräunte Gestalten überall bei fröhlichem Tummeln; heiteres bewegtes Treiben – und doch liegt Ernst im Spiele.“ Oder auch: „In den Augen der Welt war also das Stadion ein Ausdruck der machtvollen Einigkeit des Sports, für die Sportler selbst eine stete Mahnung, auf dieses Ziel hinzustreben.

Spielerisch und doch ernst. Bild: Berlin, Grosses nationales Jubiläums-Sportfest Von: Aktuelle-Bilder-Centrale, Georg Pahl (Bild 102) Bundesarchiv, Bild 102-00508 / Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany


Wobei der Begriff „Stadion“ durchaus umstritten war. Ein Zeitgenosse zur damaligen Diskussion:

„Deutsches Stadion, im Klanggebilde schwingt der Ernst der Stätte mit. Der griechische Name, der zunächst das Maß der Laufstrecke und dann die olympische Laufbahn selber bezeichnete, ist freilich viel angefochten worden, gewiss aus einem richtigen Gefühl heraus. Heute haben wir das Bedürfnis, allen Neuschöpfungen auch einen neuen deutschen Namen zu geben. Aber nicht immer gelingt es, für einen neuen Begriff auch ein neues und treffendes deutsches Wort zu prägen. Wer wird dem Schöpfer neuer Einrichtungen einen Vorwurf daraus machen, wenn er nicht auch Schöpferkraft für einen neuen Namen besitzt?“

Das Schwimmbad


In der Schilderung des Bades selber, überlasse ich mich den zeitgenössischen Quellen:

„Hier an der Eiche werfen wir noch einen Blick auf den nach Osten zu auf 55 x 90 m sich breitenden Nebenspielplatz und wenden uns dann die Treppe hinab zur Schwimmbahn. Sie ist 100 m lang und 22 m breit. Ihre Tiefe beträgt am östlichen Ende 1,90 m, fällt dann nach Westen bis über etwa 75 m auf 2,30 m ab und beträgt vor den Sprungtürmen 4,20 m. Die Sprunganlage trägt je zwei Federbretter in 1 m und in 3 m Höhe. Die Plattformen des Sprungturmes liegen in 5 m und 10 m Höhe. In den Bauten an der Schwimmbahn liegen die Umkleideräume und zwar Nr. 1 – 8 in dem Flankengebäude an der Ostseite Nr. 9 – 25 unter der Schwimmbadtribüne selber, zusammen mit der Kantine, Garage und einer Tischler- und Malerwerkstatt.“
„Die Standbilder auf der Schwimmbadtribüne, 2,40 m groß sind sämtlich sehr stark verwittert. Zu der beabsichtigten Ausführung in edlem Material fehlten die Mittel“.
 
Nach dem Krieg entstanden Stehplatzstufen an der westlichen Hälfte der Tribüne.

Spannend wird es bei der Wasseraufbereitung für dieses Riesenbecken, in Zeiten es Chlor im Becken noch nicht gab, 

„Das Schwimmbecken (es fasst 6.500 cbm Wasser) wird einmal im Jahre gänzlich neu gefüllt. Weiterhin fließen je nach Bedarf täglich 4-500 cbm Wasser ab und wieder zu. Im Jahre 1923 hat man allein für den Wasserverbrauch, allerdings Rasensprengungen und Wirtschaftsbedarf hinzugerechnet, Ml. [Monatlich?] 9.000 an die Charlottenburger Wasserwerke bezahlen müssen. Zur Prüfung der Wasserbeschaffenheit, gewissermaßen als Sanitätspolizei, hat man Goldorfen(??) und Karauschen in das Becken gesetzt. Sie bewegen das Wasser, fressen Insekten hinweg und halten das Wasser frisch. Die Tiere befinden sich, wie man beim Ablassen des Wassers feststellen kann, in sehr gutem Futterzustand, und sicher ist es zum Teil ihnen zu verdanken, dass das Wasser immer gesundheitlich einwandfrei ist. Das Becken wird im Frühjahr abgelassen und dann vollkommen gescheuert und von Algen gereinigt. Anfang Juli setzt dann erneut Algenbildung ein, die dem Wasser eine grünliche Färbung gibt.“

Bild: Karausche. Aus "A History of the Fishes of the British Isles" (1862)

Beheizt war das Wasser selbstverständlich nicht.

Aber noch einmal zur Konstruktion:

„Die Konstruktion der Schwimmbahn ist mit besonderer Sorgfalt bearbeitet. Hier widerstrebten einander die Forderungen der Wasserdichtigkeit und die Unvermeidlichkeit, der bei niedrigen Temperaturen wenigen, bei hohen mehr geschlossenen Trennfugen. Diese mussten daher in Form von Falzen hergestellt werden, welche mit einer elastischen und wasserundurchlässigen Masse auszufüllen waren. Als Flächendichtung ist doppelt aufgeklebte Asphaltpappe verwendet worden, über welche noch eine 10 cm starke Betonschicht, als Schutz gegen mechanische Verletzungen und gegen Witterungseinflüsse angebracht wurde.“

Für die Deutschen Nationalspiele


Die Idee für dieses Stadion stammte dabei aus dem späten 19. Jahrhundert. Angelehnt an die Olympischen Spiele der Antike – und noch vor den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit – planten die Macher „Deutsche Nationalspiele“, die alle drei Jahre stattfinden sollten. 


Bild: Bundesarchiv Bild 102-02694, Berlin, Nurmi im Deutschen Stadion: Von: Aktuelle-Bilder-Centrale, Georg Pahl (Bild 102) Lizenz:  Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany

Schließlich entstand das Stadion für beides: Deutsche Nationalspiele, die alle drei Jahre stattfinden sollten und für die Olympischen Sommerspiele 1916. Letztere fanden nicht statt, weil europaweiter überbordender Nationalismus den Ersten Weltkrieg verursacht hatte. Gerade als der österreichische Thronfolger in Sarajewo erschossen wurde, was letztlich der letzte Auslöser für den Ersten Weltkrieg war, fanden im Stadion die „Olympischen Vorspiele 1914“ statt. Die Fahnen standen auf Halbmast. Damals war den Leuten noch nicht klar, dass die „Jugend der Welt“ 1916 nicht um die Wette schwimmen, sondern in Schützengräbern kauern würde.

Das Stadion war mehr als nur revolutionär. Neben dem ersten Freibad der Stadt steckte auch der Bau echter Sportplätze und Stadien in Berlin noch in den Kinderschuhen. In Berlin bestanden die üblichen Stadien meist aus ein paar Brettern oder Bretterbuden um einen Rasenplatz herum.

Das Stadion selber stammte von Otto March – der hat vor allem Nachruhm als Vater von Werner March erlangt; eine seltsame Ironie ist doch Werner Marchs bedeutendsten Bauwerk das Berliner Olympiastadion, welches das Deutsche Stadion ersetzte.

Otto March hatte vorher einige Erfahrungen als Architekt von Pferderennbahnen – was zu dieser Zeit die beste Qualifikation für den Stadionbau war: waren Pferderennbahnen doch die Vorläufer der späteren Sportstadien – auch wenn die Pferderennbahnen nie Schwimmbäder enthielten. Otto selbst bekam davon nichts mehr mit, starb er doch 1913 im Jahr der Baufertigstellung. Das Deutsche Stadion war sein vorletztes Bauwerk.

Nutzung


Obwohl das Stadion heute weitgehend vergessen ist, von seinem Nachfolger in der historischen Erinnerung komplett überwuchert wird, fanden hier doch sporthistorische Ereignisse statt. Viermal (1922, 1923, 1924, 1927) spielten die Fußballer hier das Endspiel der Deutschen Meisterschaft aus – einmal mit Berliner Beteiligung als 1923 Union Oberschöneweide (heute Union Berlin) vor der Rekordkulisse von 64.000 Zuschauern dem HSV mit 0:3 unterlag. Das Stadion hatte auch zu der Zeit offiziell 33.000 Plätze, die anderen 31.000 verteilten sich auf Dächer, Treppen, die Radrennbahn und den Figurenschmuck. Auch die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer trug hier sechs Spiele aus.

Allgemein wurde nach dem Ersten Weltkrieg die Nutzung bunter: was vor allem an der Geldknappheit lag und der damit verbundenen Notwendigkeit der ernsthaften Sportler das Stadion auch für andere Zwecke zu öffnen. Die Sportler beschwerten sich über die „unwürdige Reklamemalerei“ im Stadion, hatten aber diverse andere Attraktionen zu sehen:

Bild: Das erste Motorrad-Fussball im Stadion in Berlin! Von: Aktuelle-Bilder-Centrale, Georg Pahl (Bild 102)
Bundesarchiv, Bild 102-07936 Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany


„Die eigenartigste unter diesen sportfremden Veranstaltungen war eine Großaufnahme der Fern Andra Filmgesellschaft. Diese brauchte eine altrömische Zirkusszene, mietet dafür das Stadion und veranstaltete in seinem Innenraum ein großes Zirkusfest mit Artisten aller Art. Hier führte die Filmschauspielerin Fern Andra eigenhändig ein wildes Vierergespann, und die Sportsleute unter den Zuschauern, so schmerzlich ihnen diese Verwendung des Stadions auch war, mußten zugeben, daß die Frau ihre Rosse schneidig lenkte. Das Stadion war angesichts dieser Schaustellung auch tatsächlich bis auf den letzten Platz gefüllt.“

Nachleben


Schon kurz nach der Eröffnung offenbarte sich die Schwäche des Stadions: es war zu groß. Der Weg für die Zuschauer führte unter der Pferderennbahn hindurch in den gigantischen Bau um 666-Meter-Radrennbahn und Schwimmstadion herum. Egal, was passierte, die Zuschauer waren immer zu weit weg vom Geschehen. In den Jahren zwischen 1900 und 1920 entwickelten sich zudem feste Maße für Wettkampfstätten: Laufbahnen waren schließlich immer 400 Meter lang, Schwimmbecken immer 50 Meter. Das Deutsche Stadion mit seinem exzessiv langen Strecken passte nicht mehr in die Sportwelt.

Am Ende der Liegewiese steht die Säulenreihe.


Nachdem Staat und Stadt Mitte der 1920er wieder etwas Geld hatten, begannen sie mit den Planungen für ein neues Stadion - das Deutsches Sportforum - das auch die Olympischen Spiele nachholen sollte. Erste Arbeiten am Sportforum begannen. Dann kam die Weltwirtschaftskrise. Die Arbeiten wurden eingestellt. Dann kamen die Nazis und machten die Olympischen Spiele 1936 zu den Ihren. Aber die Geschichte soll ein in einem anderen Post erzählt werden.

Letzter Rest eines stolzen Schwimmstadions.


Das Deutsche Stadion selbst verschwand nicht nur architektonisch komplett unter dem Olympiastadion, auch seine Erinnerung verblasste vollkommen neben diesem. Einziges Zeugnis des ehemaligen Bades ist eine Säulenreihe – einst den Gang der Athleten neben dem Becken schmückend – die sich heute auf der Wiese des Freibads am Olympiastadion befindet.

Anhang: Einiges aus der Stadionordnung


VIII Sportanzug

Der Sportanzug muss wenigstens aus Laufhose bestehen. Zum Schwimmen ist die dreieckige Badehose gestattet, weitere Verringerung der Bekleidung jedoch nicht. Den Tanzschulen ist das Tragen des Tanzanzuges (Brustgürtel und Tanzhose) erlaubt. Außerhalb des Innenraums muß jedoch Überbluse getragen werden.

IX. Das Rauchen im Sportanzug ist nicht gestattet.
[…]

XIII. Schwimmbahn

Das Schwimmbecken des Stadions ist kein Familienbad. Es darf nur zu Lehr- und Übungszwecken benutzt werden. Da es überall mehr als mannstief ist, ist seine Benutzung nur Freischwimmern gestattet. Schwimmunterricht darf lediglich von den von der Hochschule hierfür beauftragten Lehrern erteilt werden. Vor der Benutzung der Schwimmhalle ist zu brausen. Das Abwaschen der Füße im Schwimmbecken ist nicht gestattet. Frauen dürfen nur in Badekappe schwimmen. Das Besteigen der Sprungtürme ist nur den Springern erlaubt.

XIV. Ruheplatz Schwimmbadtribüne

Es wird gebeten, hier kein Famillienlager aufzumachen. Für Frauen, die sich sonnen oder das Haar trocknen wollen, ist das Dach der Umkleideräume West bestimmt.

Weiterlesen


Eine großartige Quelle aus der auch die Zitate im Text stammen, ist die zeitgenössische Darstellung: Das Deutsche Stadion und Sportforum – Im Auftrage des Deutschen Reichausschusses für Leibesübungen. Verfasst von Gerhard Krause. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1926

Das erste Hallenbad Berlins stand in Moabit und diente ganz anderen Zwecken: das erste Hallenbad Berlins.

Geistiger Nachfolger dieses Freibads ist die Schwimm- und Sprunghalle im Europapark.

Alle Iberty-Schwimmbadposts liegen unter Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick.

Eventuell besser zugänglich ist „Berlin und seine Bauten“ (1997) bietet in Teil VII, Band C „Sportbauten“ einiges zum Deutschen Stadion im Abschnitt „Stadion“. Der Schwimbad-Abschnitt hingegen gönnt diesem Bad nur einen Halbsatz.  

Einen längeren Abschnitt zur „Mutter deutscher Stadien“ hat Noyan Dinçkals Studie „Sportlandschaften: Sport, Raum und (Massen-)Kultur in Deutschland“ (Göttingen, 2013, nur in Teilen eingesehen)

Hier einige alte Fotos: das rechteckige Schwimmbecken vor der Haupttribüne ist vor allem auf den Luftaufnahmen erkennbar. Am besten auf dieser Aufnahme.

Noch mehr Foto, hier eines vom Sprungturm.

Anmerkungen


Ein Wort zur Nomenklatur. In Berlin existieren offiziell keine Freibäder. Entweder es gibt Strandbäder, die an einem natürlichen Gewässer liegen (Strandbad Wannsee, Strandbad Plötzensee etc.) oder es gibt Sommerbäder, die auf der grünen Wiese errichtet worden und über einen eigenen Wasserkreislauf verwenden. Ich verwende Sommerbad und das außerhalb Berlins übliche Freibad hier synonym.

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