Freitag, 21. Juli 2017

Hausrotschwänze im, über und bei unserem Garten.

Man trifft sich immer zweimal. Oder dreimal. Oder öfter. Wir und unsere Nachbarn, Familie  Hausrotschwanz. Ein Kennenlernen an fünf Orten.

Letztes Jahr im Sommer: was hüpft denn da durch das Gras? Ein Vogel, roter Fleck, heftig wippender Schwanz, zu schnell weg um ihn näher zu erkennen. Kurze Zeit später auf dem Zaunpfosten: derselbe Vogel? Schwarz und Rot auf jeden Fall, irgendwie hektisch, wackelnd mit dem Schwanz als wäre er ein Hund vor einem frisch geschlachteten Rindermagen. Er erreicht beinahe Spatzengröße, ist aber schlanker. Madame, kennst Du den?



Madame Poupou kannte den Gartenrotschwanz. Aber der sah irgendwie anders aus. Röter tatsächlich. Kleiner. Ein Gartenrotschwanz brandenburgiensis vielleicht? Oder sollten wir doch nachschauen? Immerhin, für Zweifelsfälle gab und gibt den Kosmos-Vogelführer im Haus: Dort, direkt neben dem Gartenrotschwanz, das Bild: ein Hausrotschwanz vermutlich. Weniger rot, dafür größer. Der Verdacht bestätigte sich über die kommenden Wochen. Wir beobachteten den Vogel weiterhin wie er hektisch vom Zaunpfahl durch über die Wiese hüpfte.

Letztes Jahr im Winter: Wir, vor der Gartenhaustür stehend. Ein Blick nach oben, unter die Dachsparren. „Du, sag mal. Hast Du letztes Jahr Schwalben gesehen? Ich glaube unter dem Dach ist ein Schwalbennest.“ Ne keine Schwalben. Aber das würde erklären warum hier bei der Tür immer so viel Vogelmist ist. Und da ist eindeutig ein leeres Nest.


Dieses Jahr, im April: Ach, schau mal, da hüpft hektisch ein roter Vogel durch das Gras und macht es sich dann auf der Himbeerstange gemütlich. Hatten wir den nicht schon mal? Ja. Weißt Du noch was es war? Gartenrotschwanz irgendwie nicht, erinnere ich mich. Aber was: ach ja, Hausrotschwanz.

Ende April: schau mal, das Nest ist wieder da. Also der Nestrohbau. Und wenn wir eine Woche nicht im Garten waren und zur Haustür wollen, fliegt aufgeregt der Hausrotschwanz um uns herum. Sollten gar keine Schwalben? Lass mal schauen, ne tatsächlich. Sein Nest sieht so aus, und er brütet liebend gerne an erhöhten Stellen in halboffenen Nischen, gerne an Gebäuden, Na dann, hallo und willkommen liebe Nachbarn und Mitbewohner.

Zwei Wochen später: Nest verlassen. Kein Hausrotschwanz zu sehen. Umgezogen? Einer Nachbarschaftskatze zum Opfer gefallen?

Jetzt: Das Nest ist immer noch leer. Dafür haben sich mindestens zwei - wenn nicht mehr Hausrotschänze im Garten häuslich eingerichtet. Sitzen auf dem Zaun. Oder dem Schornstein. Oder dem Dach des Nachbarn. Stoßen dann einmal kurz auf die Wiese hinunter, nur um sofort wieder auf das Nachbarsdach zu fliegen. Von links nach rechts, von rechts nach links, von frühmorgens bis abends. Sitz, iss, knarz, knirsch. Unverkennbar eigentlich.

Die Nachbarschaft 


Wobei. Ob wir gute Nachbarn werden? Die Ausgangslage scheint uneindeutig. Die Nachbarschaftsbeziehung Mensch-Hausrotschwanz scheint einseitig geprägt. Menschliche Autoren sprechen immer wieder von schönen Kindheitserinnerungen sprechen, der Tatsache, dass der Hausrotschwanz dazu gehört und er den Garten verschönert.

Da ist zum Beispiel Günter Hack, der im Merkur von seinen frühkindlichen und späteren Erfahrungen mit dem Rotschwanz erzählt und feststellt, „Zu einem Haus gehört ein Hausrotschwanz, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.“

Der Hausrotschwanz selbst scheint das anders zu sehen: Er ist ungesellig, toleriert Menschen. Aber das war es dann auch. Wobei er auch alle anderen Tiere nur mühsam toleriert. Auch zu anderen Hausrotschwänzen hält er respektvoll Abstand, selbst den Zug absolviert er alleine.



Bei den wenigen Gelegenheiten bei denen es zu Hausrotschwanzpulks kommt (sehr schlechtes Wetter, große Insektenansammlungen beispielsweise an Seeufern) halten die einzelnen Tiere untereinander Abstand.

Die Zeit der potenziell schwierigsten Nachbarschaft, wenn der Vogel direkt über der Haustür brütet, dauert ungefähr einen Monat. Etwa zwei Wochen in denen er die Eier bebrütet und dann noch weitere zwei Wochen, in denen die Küken als Nestlinge nackt, blind und hilflos sind. Wobei der Hausrotschwanz gerne zweimal oder gar dreimal im Jahr brütet.  Immerhin haben wir die Chance, noch einige Jahre miteinander zu verbringen. Der Vogel wird acht bis zehn Jahre alt.

Adalbert Stifter lässt abschießen


Und auch bei den Menschen ist dieses wonnevolle Betrachten des wippenden Schwanzes, das Schwelgen im süßen Vögelchen eher neu. Ebenjenem Günter Hack verdanke ich den Hinweis auf eine der wenigen Literaturstellen, die sich dem Hausrotschwanz widmen.

Hier wieder in deutlich schwierigerer Nachbarschaft: Adalbert Stifter beschreibt in seinem Roman „Der Nachsommer“ den Freiherr von Riesach, der auf seinem Hof sich um die Vögel bemüht, Rotkehlchen, Meise und Ammer füttert und pflegt, da sie ihn in der Bekämpfung der Schädlinge zur Seite stehen. Nur der Rotschwanz, der „böse Feind“, der den Bienenstock geplündert habe, werde mit der Windbüchse bejagt und getötet.

Das mit den Bienen scheint er länger nicht abgelegt zu haben. Zu den zahlreichen Namen, die der Vogel im Laufe seiner menschlichen Interaktionen einsammelte, gehörte auch das im preußischen verbreitete „Bienenschnapp.“, im Elsass hingegen wurde er auch als „Immenbicker“ bezeichnet.

Knirsch, Knarz, Schepper


Auf schöne Melodien am Morgen ist eher nicht zu hoffen. Brehms Tierleben stellt fest: „Seine Lockstimme ist angenehm, sein Gesang aber nicht viel wert und durch ein sonderbares Schnarren ausgezeichnet.“ Die Zeit, die 1988 noch einen Vogelalmanach hatte, schrieb: „Beim Hausrotschwanz ist [der Gesang] ein Quetschen. Es scheint, als mache es ihm Mühe, sich zu artikulieren.“, anderswo wird es als „eigenartiges Knirschgeräusch“ beschrieben.



Allgemein scheint es der menschlichen Sprache unmöglich, diese Laute wirklich wiederzugeben, insbesondere mangelt es ihr an passenden Konsonanten. Die Diskussion zum Wikipedia-Artikel beispielsweise dreht sich in mehreren Punkten darum, wie sich dieses Geräusch denn nun verschriftlichen lässt.

Ein anderer Autor versucht: „[Die Gesangsstrophe] beginnt mit einem trillernden Stakkato von ungeschliffenem, heiserem Klang, erstirbt im Mittelteil zu einem kratzigen Zischeln und endet als rasselnder Zwitscherlaut.“ Selbst, dem NABU, offensichtlich ein Fan des Vogels, fällt keine bessere Formulierung ein als „unnachahmlich heiser gequetschten Gesang“. Immerhin, es ist ein auffallender Laut.

Und da der Rotschwanz ein doppelt früher ist – früh im Jahr ist er aus dem Winterlager zurück, früh am Tag/in der Nacht fängt er an zu singen - ist dieses Geräusch eindeutig zuordnenbar. Wenn es auf dem Schornstein knirscht, geht nicht der Schornstein kaputt, sondern ein Singvogel singt.
 

Gewinner des Städtebaus


Adalbert Stifters mlitant Bienen verteidigender Hof liegt in den Alpen: dort wo der Vogel herkommt. Stifters Roman entstand im frühen 19. Jahrhundert, als der Vogel seine Wanderung ins europäische Flachland noch vor sich hatte, und noch ein südlicher Gebirgsvogel war.

Denn wie das so ist, bei Veränderungen: vor allem hört man von den Gewinnern, sieht diejenigen, die von den Veränderungen profitieren. Der Hausrotschwanz ist und war ein Gewinner des menschlichen Wirkens. Ursprünglich nistete er in Gebirgen, wo er die Nischen mit Ausblick fand, die er zum Nisten bevorzugt.

Die europäische Unterart des Hausrotschwanzes ist der gibraltariensis, was einen guten Hinweis darauf gibt, wo Europäer den Vogel im 18. Jahrhundert vermuteten: auf einem Felsen am Mittelmeer.

Am Mittelmeerraum selbst, aber auch in Asien bis nach China hinein, ist der Vogel bis heute ein reiner Gebirgsvogel. Er wurde in den Alpen schon auf 3.200 Meter gesichtet, im Himalaya auf 5.700 Metern. Dort kommt er aber im Flachland kaum vor.

Anders sieht es in Nordeuropa aus. Hier folgte der Hausrotschwanz seit dem 19. Jahrhundert den Menschen ins Flachland. Um Brehms Tierleben zu zitieren: „Ursprünglich Gebirgskind und Felsenbewohner, hat der gegenwärtig bei uns zulande zum Haustiere gewordene Vogel nach und nach sich bequemt, auf dem Wohnhause des Menschen Herberge zu nehmen, ohne zwischen der volkreichen Stadt und dem einsamen Gehöfte einen Unterschied zu machen.“

Noch Mitte des 19. Jahrhunderts galt er in Norddeutschland als selten und auch aus dem 19. Jahrhundert stammen die ersten Sichtungen überhaupt aus Großbritannien oder dem südlichen Skandinavien.

Gewinner von Krieg und Klimawandel


Wirklich europaweit verbreitete er sich dann in Folge des Zweiten Weltkriegs: plötzlich waren überall in Europa halbzerstörte Häuser vorzufinden mit geradezu unzähligen Gelegenheiten zum Nisten und Brüten. Selbst in Großbritannien war der Vogel plötzlich häufig, ebenso wie in Norddeutschland. Auch der erfolgte Wiederaufbau scheint die einmal etablierten Populationen nicht eingeschüchtert zu haben. In Nord- und Ostdeutschland hat sich der Hausrotschwanz gut eingelebt und ist häufig.

Einzelne Paare wurden auch schon brütend über dem Direktionseingang des Frankfurter Senckenbergmuseums gesichtet, wo sich ihr Nest zwischen die Tauben-Abwehr-Spikes gequetscht hatten, so berichtet Sebastian Lotzkat in seiner Landflucht der Wildtiere

In Europa lebt der Vogel überall, er meidet nur echte Schietwettergegenden (Schottland, Island, Nordskandinavien). Auch scheint er vom Klimawandel zu profitieren. Die Bestandszahlen weltweit sind unklar, mindestens aber in Europa steigt die Zahl der Hausrotschwänze. Als Vogel, der spät ins Winterquartier zieht und früh wiederkommt, helfen die wärmeren Winter auch einigen Exemplaren gleich ganz hier zu bleiben. So vielleicht auch der unsere, den wir Anfang März bereits sahen, und der anscheinend auch schon mit dem Nestbau begonnen hatte – was für diese Art ein ungewöhnlich früher Zeitpunkt ist.

Wackel den Hintern 


Weibchen und Jungtiere zu erkennen, habe ich spontan aufgegeben. Spatzengroße Vögel, die nur eine blasse Schwanzfärbung haben und ansonsten „einheitlich dunkelgraubraun“ gefärbt sind, kann ich nicht auseinanderhalten – da gibt es dann zu viele von. Die fallen in die Verzweiflungsbestimmungskategorie "kleiner brauner Vogel halt."

Das Männchen macht die Sache mit dem wippenden roten Schwanz schon deutlich einfacher. Die Unterscheidung zum ähnlichen Gartenrotschwanz geht auch vergleichsweise einfach: hat der Gartenrotschanz doch auch einen rötlichen Bauch, während dieser beim Hausrotschwanz dunkel ist.

Die Engländer haben dem Hausrotschwanz dann deshalb auch die schöne Bezeichnung „Black Redstart“ , also der schwarze Rotschwanz, (im Gegensatz zum "Common Redstart“, dem Gartenrotschwanz) gegeben. die Franzosen halten es mit dem Rougequeue noir ähnlich und die Italienier haben vielleicht die schönste Bezeichnung: Codirosso spazzacamino, der Schornsteinfeger-Rotschwanz. Ein Hinweis sowohl auf die Farbe wie auch die Tatsache, dass er gerne oben am Haus aufzufinden ist - wahrscheinlich kannten die unser schornsteinsitzendes Exemplar schon.

Der auffallende rote Schwanz hat es dann auch bis zum lateinischen Gattungsnamen gebracht: Der Phoenicurus ist benannt nach dem Phoenix, der auch einen roten Schwanz hatte. Benannt nach dem Phoenix. Wenn das keine Adelung durch die Biologen ist.

Zumal, wenn man dann noch einen Vogel hat, der scheinbar dauernd in Hektik ist. Um wieder den wunderbaren Brehm zu zitieren:

Er ist außerordentlich hurtig und gewandt, hüpft und fliegt mit gleicher Leichtigkeit und bückt sich oder wippt wenigstens mit dem Schwanz bei jeder Veranlassung, auch wohl ohne eine solche. Seine Haltung im Sitzen ist eine aufgerichtete, kecke; sein Hüpfen geschieht mit großen Sprüngen, ruckweise oder mit kurzen Unterbrechungen; sein Flug führt ihn, wie Naumann sagt, »fast hüpfend oder schußweise schnurrend, auf weite Strecken aber in einer unregelmäßigen, aus größeren und kleineren Bogenlinien bestehenden Schlangenlinie fort. Er weiß sich meisterhaft zu überpurzeln, zu schwenken, mit Schnelligkeit aus der Höhe herabzustürzen und schnurrend wieder hinaufzuschwingen«;“ und als Ansitzjäger gerne auf Zaunpfosten, kahlen Bäumen etc. sitzt und darauf wartet, sich auf die Insekten hinabstürzen zu können.

Was man sonst noch so bei der Recherche findet 


Die Bundeskunsthalle in Bonn errichtete 2012 einen „Vogelflughafen“. Eigentlich haben sie ein nettes Biotop für Gartenvögel angelegt. Aber da es ja die Bundeskunsthalle ist, müsste auch ein wenig Überbau daher. Daher haben sie das seit 2009 existierende Projekt „Ornithoport“ (seit 2009 Hasenbüchel und seit 2010 in Hamm adaptiert. Anlocken soll es die heimischen benachbarten Vögel wie den Hausrotschwanz. Leider, wie oft bei solchen Projekten, finde ich vor allem Ideen und Ankündigungen – aber wenig, was daraus geworden ist.

Unser Rotschwanz auf jeden Fall braucht keinen Ornithoport. Dem reichen ein paar Sitzgelegenheiten zwischen Zaunpfahl, Dach-Ecke und Schornstein und ein reichliches Insektenangebot in der Wiese. Dann kommt er wieder und es werden mehr.

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