Mittwoch, 28. Juni 2017

Alltagssport in der DDR

Die DDR war eine Sportnation. Medaillengewinner bei Olympischen Spielen wurden verhätschelt. Erfolgreiche Sportler waren für DDR-Verhältnisse Superstars. In das Training und die Unterstützung der Leistungssportler flossen nicht unerhebliche der knappen Mittel des Staates.

Die Sportnation DDR definierte sich über den Spitzensport. Aber wie sah es mit Alltagssport aus? Wer weiß darüber? Alltagssport gab es in der DDR natürlich auch. Wenn auch weder unter dieser Bezeichnung, noch als Breitensport, sondern als Freizeit- und Erholungssport. Von Spoitfunktionären wenig geliebt, aber doch vorhanden. Insbesondere von unten immer wieder gewollt und gewünscht, durch den organisierten Sport bestenfalls hingenommen.



Eher zufällig fiel mir das Buch „Alltagssport in der DDR“ (Hg. Von Jochen Hinsching, Meyer & Meyer Verlag 1998, Band 6 der Reihe „Sportentwicklungen in Deutschland“) in die Hände. Ein Aufsatzband irgendwo zwischen Sportsoziologie und Erfahrungsbericht. Einige Überblicksartikel zum DDR-Freizeitsport an sich (Politische Bedingungen, so vorhanden emprische Zahlen), einige Einzelaufsätze (Sportabzeichen, Sportfeste in Leipzig), einige Erfahrungsberichte (frühe Karateszene, der Rennsteiglauf von den ersten Anfängen bis zum Masseneignis). 

Ein Buch im Spannungsfeld, das irgendwie noch nicht so hundertprozentig den sozialwissenschaftlichen Gestus drauf hat, aber auch zu trocken ist als Erfahrungsschilderung. Größtenteils eine theoretisch reflektierte Erinnerung der Beteiligten. Seien wir ehrlich, insgesamt eher dröge zum Lesen. Aber nicht unspannend.



Einige Erkenntnisse:


Breitensport hat im Vergleich immer nur ein starkes Nischendasein geführt, musste stets – und meist erfolglos – mit dem Leistungssport im Ressourcen kämpfen. Einzige echte Ausnahme waren Kinder- und Jugendsport; dies aber vor allem, weil Hoffnung bestand, dass aus den breitensportenden Kindern noch Leistungssportler werden.

Überhaupt scheint es die Idee eines Freizeitsports erst seit den späten 1960ern gegeben zu haben. Da kam die 40-Stunden-Woche und der Freie Samstag und die Leute hatten plötzlich Zeit. Auch wenn weiterhin eher ungeliebt, tauchte der Breitensport, beziehungsweise „Freizeit- und Erholungssport“ überhaupt erstmals in den entsprechenden Planungsdokumenten auf.

Trotzdem war er bei Sportfunktioniären ungeliebt. Ausnahmen bildeten einzelne Ereignisse (Sportfeste in Leipzig) und einzelne Kampagnen wie die "Meilenbewegung".

Eile mit Meile“/die Meilenbewegung war auch ein Versuch den Volksläufen herr zu werden. Diese waren, als nicht-olympische-Disziplin mit hohem Anteil von spontaner Beteiligung, immer eher suspekt. Aber trotzdem ungemein populär. „Eile mit Meile“ versucht dem ganzen einen organisatorischen Rahmen zu geben, der auch in die zentralen Planungen und die offiziell propagierten Ziele passte. Eine Meile war übrigens jeweils die Jahreszahl in Meter. Eine gelaufene/geschwommene/geradelte Meile entsprach im Jahr 1975 zum Beispiel 1975 Metern.



Teilnahmeformular zum Rennsteiglauf



Einzige, stets geförderte,  Ausnahme: Sportabzeichen, das zumindest Anfangs auch stark mit wehrsportlichen Elementen verknüpft war, nicht sonderlich beliebt in der Bevölkerung und der Bevölkerung wie Sauerbier aufgedrückt wurde.

Zum Teil liest sich das wie eine komische Karikatur auf Communitymanagement. Es gibt seltsame Kampagnen deren entscheidende Kennzahl die Zahl „freiwilliger“ Teilnehmer ist und dann all‘ die Methoden und Versuche, wie man Menschen in ihrer Freizeit dazu bekommt, an etwas teilzunehmen, was doch gut für sie sein soll.

Generell galt eine starke Fokussierung auf den „Sportplatz Natur“, was – wie alle Autoren übereinstimmend sagen – vor allem mit dem desaströsen Zustand der Sportstätten in der DDR zusammenhing. Es gab zu wenig, und diejenigen Sportstätten, die es gab, verfielen. Schwimmen hatte eine etwas bessere Rolle – die starken Olympiateilnehmer zogen die ganze Sportart mit – trotzdem war der Zustand der meisten DDR-Schwimmhallen Anfang der 1990er katastrophal, die "aus hygienischer, sicherheitstechnischer sowie heizungs- und lüftungstechnischer Sicht dringender Sanierung und Modernisierung" bedurften.

Leistungssport = Olympische Disziplinen. Alle Organisationsversuche in anderen Sportarten wurden durch den DTSB, den Deutschen Turn- und Sportbund der DDR,  massiv behindert oder unterlaufen. Besonders Sporarten, die aus dem Westen/den USA kamen – Triathlon, Bodybuilding, Aerobic, Yoga – fanden nur am Rande der Legalität statt und wurden erst einmal umgetauft. Bodybuiling = Körperkulturistik, Triathon = Ausdauerdreikampf, Aerobic = Popgymnastik.

Gerade in den 80ern gab es organisierte Bewegungen in den „neuen Sportarten“ (ausführliche Beschreibungen im Buch zu Budo und Triathlon), die sich in den Nischen des Systems mit viel Engagement einrichten konnten. Zumal der DDR-Sport auch kein geschlossenes System war, lokal und regional vieles anders gesehen wurde und man – zumindest in den 80ern – auch Parteiorganisationen und Sportorganisationen gegenenander ausspielen konnten.





Gerade in den 1980er waren die Nischen ganz beträchtlich. So berichten Teilnehmer von Abenteuerexpeditionen in die Sowjetunion (Pamirgebirge, Baikalsee) ohne Genehmigungen und ohne die Möglichkeit, Genehmigungen auch nur zu bekommen. Und natürlich wusste jeder – einschließlich des KGBs und aller anderen Stellen – im Umkreis von 1000 Kilometern, dass da gerade verrückte Ossis ohne jede Erlaubnis über den Baikalsee laufen. Trotzdem ließ man sie im großen und ganzen gewähren. In den 1950ern oder 1960ern wohl unvorstellbar.

Lokal und Regional machten auch die Presse einen Unterschied. Die Erfahrungsberichte der Beteiligten legen nahe, dass viele lokale und regionale Zeitungen enthusiastisch und ausführlch über Ereignisse berichteten, die bei den überregionalen Zeitungen nicht stattfinden durften.

Spannend die Frage nach den Betriebssportgemeinschaften. Während vieler Breitensport innerhalb dieser Betriebssportgemeinschaften stattfand- - die im Allgemeinen auch deutlich besser ausgestattet waren als die kommunalen Einrichtungen – scheint Schwimmen hier zu fehlen; mir fallen auf jeden Fall nur kommunale Schwimmhallen – oder welche für den Leistungssport – ein.

Der Punkt, der mich eigentlich interessierte, Schwimmen, kam kaum vor. Wahrscheinlich, weil der Sport weder so richtig populär und verbreitet war (dazu bedarf es zu viel Infrastruktur und der Betrieb ist zu aufwendig), der Sport als eigentlich gehätschelter erfolgreicher medaillenbringender Olympiasport aber auch kein gutes Beispiel ist für den Reibungen an den Rändern.


Jochen Hinsching (Hrsg): Alltagssport in der DDR.  Meyer & Meyer Verlag 1998, ISBN 3-89124-462-2. Beim Verlag anscheinend nicht mehr erhältlich,

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Schöner kleiner Post. Ich schätze deine Vorliebe für skurille Details abseitiger Nischenthemen. Und der Seitenhieb Richtung Communitymanagement ist natürlich sehr amüsant.