Mittwoch, 25. Januar 2017

Klassik-Pop-et cetera. Radio wie es sein könnte.

Tüdü. Tüdü. Tüdüüdaa. Tüdü. Tüdü. Tüdüüdaa. Samstag vormittags. Aus dem Schlafzimmer wanken, im Halbschlaf mit dem ersten Kaffee. Das Wochenendjournal auf dem Deutschlandfunk ist vorbei. Frisch gebackenes Brot, Kaffee und der Deutschlandfunk warten in der Küche. Im Deutschlandfunk läuft das Tüdü, Tüdü, Tüdüdüda:  Die Sendung Klassik-Pop-et ceterabeginnt.



Eine Sendung mit einem einfachen Konzept: Eine interessante Person, oft Musiker, meist mittelprominent, stellt eine Stunde lang ihre Lieblingsmusik vor. So einfach, so alt, so grundlegend. Ein Mensch, seine Lieblingsmusik. Radio heruntergebrochen auf das Wesentliche.


Das Konzept wurde früher im Radio umgesetzt, ist durch das Formatradio aber stark zurückgedrängt worden. Die gespielte Musik einer solchen Sendung ist viel zu abwechslumgsirech; die Moderatoren oft keine ausgebildeten Sprecher und erst recht nicht schrei-fröhlich. Spuren eines vergangenen Radiozeitalters. Sie führen ein glorioses Nachleben im Deutschlandfunk.

Horst Jankowski und Pfirsich Melba


Rückblende: der kleine Grundschüler Dirk verreist mit seinen Eltern nach Grömitz. Ein Bad an der Ostsee in Schleswig-Holstein. Vom Grömitzer Strand aus konnte Dirks, ehemals aus der DDR geflohener Papa, am anderen Ende der Lübecker Bucht über das Wasser hinweg die Suchscheinwerfer und Grenzanlagen des sehr unfreien sozialistischen Deutschlands und seiner alten Heimat sehen. Jedes Jahr wieder. Sommerurlaub hat für mich immer ein wenig den Beigeschmack "Suchscheinwerfer."

Ansonten war Grömitz westdeutsch-achtziger-Jahre mondän. Grömitz hatte eine Kurkapelle, eine Promenade, weltgewandte Gastronomie mit Pfirsich Melba, Birne Helene und Zürcher Geschnetzeltem. Dazu spielten zu besonderen Anlässen Tanzkappellen, die so eine Art swingender Schlagertanzmusik spielten.



Die Titelmelodie von Klassik-Pop-et cetera, gespielt von Horst Jankowski und dem RIAS-Tanzorchester, könnte dort von Menschen in pastellfarbenen Jackets zu Fondue und Pfirsich Melba aufgeführt worden sein. Die ersten zwei Takte der Sendung erklingen und man weiß, diese Sendung hat Tradition. Das erste mal ausgestrahlt am 7. Oktober 1974, handelt es sich laut Stuttgarter Zeitung mittlerweile um die „älteste Sendung des Deutschen Radios“. Kann das wirklich sein?

Der leichte Deutschlandfunk


Worte. Der Deutschlandfunk ist ja mittlerweile ein wortlastiger, harter „Info-Sender“. Kultur ist auf ein paar Randplätze gerutscht, Musik kommt - wenn überhaupt - nur noch im Nachtprogramm vor. Musik beschränkt sich an wesentlichen Plätzen auf die Easy-Listening-Beatles-Coverversionen, die zu den Informationan am Morgen laufen. Das war anders. Als ich begann den Deutschlandfunk zu entdecken, spielte Musik noch eine größere Rolle. Dank Vereinheitlichung und zunehmender Durchhörbarkeit wurde die Musik auf den Nachbarsender verschoben. Der Deutschlandfunk ist der Sender, von Menschen die wichtige Sachen sagen und dabei vermutlich auch sehr ernst dreinblicken.

In dieser ernsthaften Schwere ist der Samstag die Insel des Widerstands. Unterhaltungskultur im besseren Sinn des Wortes. Mit ein wenig Tiefgrund, aber unterhaltsam; reflektiert bis tanzbar. Klassik-Pop-et cetera ertönt nach dem Wochenendjournal, das auch wortlastig aber mit kenntnisreichender und prägender Musikauswahl ist. Danach die Gesichter Europas, auch mit ausgesuchter Musikauswahl.

Sopranistinnen erzählen von damals


Karajan. Früher, als ich die Sendung kennenlernte, durften glaube ich, nur echte Musiker moderieren. Oft kamen diese aus der Klassik. Gefühlt moderierte jedes zweite mal eine siebzigjährige Sopranisten osteuropäischer Herkunft die Sendung, die erzählte wie eng sie mit Herbert von Karajan zusammengearbeitet hatte und wie sehr dieser sie schätzte. Die Musik bestand vor allem aus den eigenen Aufnahmen der Damen und einer Alibi-Platte der Beatles, um dem Sendungstitelteil "Pop" gerecht zu werden. Damals war es noch nicht die beste Sendung des deutschsprachigen Radios, aber ein hochgradig faszinierendes Hörerlebnis. Leider denke ich seitdem immer an Herbert von Karajan, wenn ich osteuropäischen Akzent höre.

Dann wurde das Format aufgebrochen; vermutlich verjüngte sich die Redaktion. Die Anmoderation 2017 ist nicht mehr ganz so korrekt/steif wie im Soundschnipsel, beschwingter, wie der Jankowski auch. Mittlerweile sind dort auch Menschen zu Gast, die selbst keine Musiker sind, aber eine enge Bindung an die Musik haben. Auch Menschen unter 40 dürfen dort Sendungen gestalten. Herbert von Karajan wird nur alle paar Monate einmal erwähnt.

Zeiten ändern sich


Zu Hause. Was die Gäste fast alle gemeinsam haben: sie kennen Musik und sie haben was erzählen. Offensichtlich schafft es die Redaktion, den Menschen im Studio das Gefühl zu geben, wirklich zu Hause zu sein und Freunden entspannt Lieblingsmusik vorspielen zu können. Selnst wenn denn mal A-Prominzenz im Studio vorbeischaut, wirkt die so entspannt, so fasziniert davon, ihre Musik spielen zu können, dass man beim Hören eher das Gefühl einem echten Menschen zu lauschen denn einem Promi.

Die gespielten Stücke decken ein weites Repertoire ab. In den letzten Sendungen kamen beispielsweise Amy Winehouse, Nick Drake, Kenny Wheeler, Howlin‘ Wolf, ZAZ, Romy Schneider, Jazz-Heroen, und vor allem haufenweise mit komplett unbekannte Interpreten aus Jazz und Klassik zu Gehör.


Jandek. Eine meiner Entdeckungen durch die Sendung.

Die Gäste sind oft nicht so bekannt, dass sie im Fernsehen schon tausendmal ihre Geschichte banalerzählt haben, sondern haben noch etwas zu sagen. Da es eine Musiksendung ist, besteht zum Glück auch nie die Gefahr, dass sie ins monologisieren verfallen. Dafür sind alle Moderatoren zu begierig in einer knappen Stunde der Menschheit möglichst viel ihrer Lieblingsmusik vorführen zu können.

Highlights


James Last. Manchmal hört man auch echte Highlights und erinnerungswürdige Sendungen: James Last, bei dessen Gemurmel mensch nicht ein Wort verstand, dessen Begeisterung und Insbrunst für die Musik aber in jedem Ton zu hören war. Moritz Eggert, ein mir komplett unbekannter Pianist, der eine solche Hammer-Musikauswahl hatte; der Regisseur Andreas Dresen (Halbe Treppe, und wer den Film kennt, kennt Dresens Gespür für Musik, die bizarre Sendung mit dem Künstler Markus Lüpertz und viele mittealte Musiker, die alle eine spannende Musikbiographie haben.

Klassk-Pop-et cetera: Erklärte Mixtapes von Menschen, die Musik lieben. Radio wie es sein kann.Und falls jemand einen Mitschnitt oder eine Aufnahme der James-Last-Sendung hat: Bitte melde Dich!

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