Donnerstag, 9. Februar 2012

Der Enzyklopädist

Als er dann vom Tisch aufstand, mied er meinen Blick und sagte, als müsste er eine schändliche Sünde beichten, die er am liebsten vergessen hätte: Wir gehen nach Istanbul zurück, wenn ich mit der Enzyklopädie fertig bin, denn verglichen mit dem, was ich hier leiste, ist das, was diese Dummköpfe in Istanbul Politik nennen, nichts anderes als unerhebliches Alltagsgewäsch, ich mache hier etwas viel Bedeutsameres und Wichtigeres, ich erfülle eine Aufgabe, die noch in hunderten von Jahren ihre Wirkung tun wird; diese Arbeit darf ich nicht im Stich lassen, Fatma, und deswegen gehe ich auch jetzt gleich wieder rauf, sagte Selahattin, und tatsächlich ging er gleich wieder hinauf, und so lange, bis er den Tod entdeckte und sich nach dieser Entdeckung vier Monate lang, bis ihm das Blut in den Mund schoss und er starb, schrieb er noch dreißig Jahre lang an dieser widerwärtigen Enzyklopädie.



Orhan Pamuk: Das Stille Haus

2 Kommentare:

Henriette hat gesagt…

Kleines Fundstück, das vielleicht passt (oder vielleicht auch nicht ;)) :

„Die Wikipedia ist gerade nicht ein Touristeninformationssystem sondern eine Enzyklopädie.”

Doof nur, daß sie von Lesern als Touri-Informationssystem genutzt und geschätzt wird …

dirk franke hat gesagt…

Zurecht. Wikipedia als Reiseführer ist super. Und noch besser, wenn man die Artikel zur Reiseführung selber schreibt, und sich danach vor Ort dann auskennt :-)

Das Zitat passt auch gut zuBuch - das ganze Buch handelt unter anderem vom Scheitern des Enzyklopädisten zwischen seinen überzogenen Ansprüchen und der profanen Welt.