Donnerstag, 7. April 2011

Mit Larry Lessig am Wannsee

Lawrence Lessig war in Berlin. Der bekannte Streiter gegen restriktives Urheberrecht und Poster-Child der akademischen "Freiheit-im-Internet"-Kämpfer hielt einen Vortrag zu Internet. Kultur, und Politik. Alles halt.

Zum Ambiente: die American Academy war mir vor dem Vortrag tatsächlich kein Begriff. Nach dem Blick auf die Karte, der eine herrschaftliche Villa direkt am großen Wannsee preisgab, dachte ich, aha, noch so ein spannendes Berlin-Überbleibsel aus dem Kalten Krieg. Denskste: Arbeit aufgenommen 1998.

Ein Tolle Aussicht vom Salon direkt auf den See gab es trotzdem, wobei das ganze Ambiente sowohl edel als auch eigentümlich familiär wirkte. Alle waren ausgesprochen höflich und bemüht, ein Großteil der Anwesenden kannte sich offensichtlich sehr gut. Der ehemalige Fellow Lawrence Lessig war den ganzen Abend nur Larry. Als er von der Geburt seines zweiten Kindes in Berlin erzählte nickten alle wissend und erinnerten sich. Die Begleitredner haben sich erst gar nicht vorgestellt, weil sie wohl davon ausgingen, dass eh alle sie kennen. Das ganze mit überdurchschnittlichen Häppchen versehen und mit einer Raumgestaltung, die vor allem an amerikanische Fernsehserien erinnerte. Und da meine persönliche US-Zeit ja weniger in Golfclubs an der Ostküste stattfand, sondern mehr unter Rednecks und Schwarzen, war auch mir das ein ganz neues US-Erlebnis.

Der Vortrag selbst:
erstmal entsprach er den Erwartungen, Lessig ist ein sehr guter Redner, der Ideen griffig rüberbringen kann, in der Lage ist, auch abstrakte Konzepte zu vermitteln, und ansonsten ein wirklich guter Abendgestalter.

Zur Technik fielen mir dann allerdings gleich zwei Sachen auf: Materialschlacht und Modulbauweise. Das ganze war eine Powerpoint-Materialschlacht. Jeder Absatz hatte eine eigene Folie, und wie er es schaffte mehrere Videos auf eine Folie zu bekommen, rätsel ich immer noch. Andererseits: viele der Folien, z.B. mit <1> oder Equality oder Fan oder dem Napster-Logo etc. sind offensichtlich vielfach verwendbar, und können problemlos in verschiedenste Vorträge integriert werden. Not bad.

Noch spannender war es aber, dass der Vortrag selber anscheinend genauso aufgebaut war. Mit 3 1/2 Modulen, die sich beliebig untereinander koppeln lassen und auch mit weiteren Modulen verbinden. Was nicht schlecht ist, da hat man zu Hause schon alles von 10 Minuten bis 5 Stunden Vortrag auf der Festplatte, und muss nur aneinanderkoppeln. In Berlin schienen es mir 3 1/2 Module zu sein, wobei die ersten drei noch einen gemeinsamen Rahmen namens "Equality" bekamen:

(1) Urheberrecht/Remix/Kultur
(2) Netzneutralität
(3) Wikileaks
(4) Polarisierung

Zum Rahmen: die Idee der Gleichheit sieht Lessig sowohl in der amerikanischen Geschichte als auch noch im Internet verwirklicht. Dabei geht es weniger um tatsächliche Gleichheit, sondern um den Anspruch darauf: der hätte frühen Amerikanern Selbstbewusstsein und Souveränität im Umgang mit Macht gegeben, würde Bloggern erlauben einfach so ihre Meinung zu schreiben, YouTube-Künstlern einfach so Remixe von Popsongs hochzuladen oder Wikipedianern, einfach so das Wissen der Welt definieren zu wollen. Mittlerweile überträgt sich der Anspruch vom Netz wieder in die Politik, siehe Nahost. Der Gedanke war leider eher angerissen denn ausgeführt, das war mE das spannendste am ganzen Vortrag.

Lessig-zum-Urheberrecht setze ich in diesem Umfeld einfach mal als bekannt voraus, das war sehr gut gemacht, aber auch nichts, was man nicht schon ähnlich von ihm las oder hörte. Wer noch einmal rekapitulieren möchte, bediene sich einfach an den Endlinks im (ansonsten verbesserungsfähigen..) Wikipedia-Artikel. Das halbe Modul Netzneutralität bestand auch aus wenig mehr, als dass Netzneutralität wichtig für die Kreativität im Netz sei, und er empfahl zwei Bücher zu lesen, deren Namen mir schon wieder entfallen ist. (weiß zufällig jemand der Anwesenden, welche das waren?)

Spannender, und mir neuer, war das Wikileaks-Modul. Die Vorgehensweise der US-Regierung, Wikileaks zerschlagen zu wollen, vergleicht er mit dem der Musikindustrie und Napster. Es mag gelingen, Wikileaks selbst zu zerschlagen, aber langfristig wird es dutzende neuer Wikileaks geben. Hilfreicher als Terrorismusvorwürfe wären Pläne, wie man in Zukunft mit großen Datendumps umgeht.

Lessig stellte dem Veröffnetlichungsmodell alles-ins-Netz ein "verantwortliches Veröffentlichen" entgegen. Dass er nun ausgerechnet, die von Kontrollwahn und schmutzigen Geschäften gezeichneten State-Department-Depeschen als "verantwortungsvollen Umgang" bezeichnete - ich habe dann einfach mal beschlossen, dass er einfach sein amerikanisches Publikum damit aus der Reserve locken wollte. Auch der Kurzzschluss von Wikileaks zum arabischen Frühling war mir dann zu kurz. Sicher haben sowohl Internet als auch der Anspruch auf Gleichheit einiges mit den Ereignissen in Nordafrika zu tun. Facebook und Twitter scheinen wichtig gewesen zu sein, oder auch dieser Mash-Up aus Google Earth in Bahrain (These Are The Controversial Satellite Photos That Set Off Protests In Bahrain). Nur hat Wikileaks bei dem allen keine Rolle gespielt.

Hhu rammboecke

Politische Debatte in den USA. Stilisiert.

Der letzte Teil, Polarisierung, schien mir der Teil zu sein, an dem Lessig noch arbeitet, der deshalb viel vorläufiger, unklarer und verschwommener wirkte. In kurz: die amerikanische politischen Medien polarisieren immer mehr. Während früher drei Medien das politische Nachrichtengeschehen beherrschten, alle Medien alle Zuschauer hatten und deshalb einen moderaten Mittelweg wählten, seien es heute unzählige, und gerade die erfolgreichsten (HuffPo, Fox News etc.) würden ihr Geschäftsmodell in überzogener Polarisierung finden. Gleichzeitig hätte die Regierung, die dort vielleicht moderierend eingreifen könnte, jede Glaubwürdigkeit verloren, weil die Amerikaner ihr politisches System zu recht für käuflich hielten. Spannend hier vor allem seine ambivalente Haltung zur Tea Party, die er einerseits für alte, weiße Leute auf der Suche nach verlorenen Privilegien sieht, andererseits ihren Grundimpuls gegen das derzeitige politische System nachvollziehen kann.

Die Anschlussdiskussion brachte dann erwartungsgemäß wenig inhaltliches, aber zeigte doch nett, wer im Publikum saß. Die Wikileaks-Provokation verfing überhaupt nicht, und niemand erwähnte sie. Dafür kam natürlich - wir sind in Deutschland - sofort das Thema Datenschutz auf. Noch spannender aber die Reaktionen auf das Schlagwort Tea Party. Da gab es erwartbar die deutsche Spontan-Reaktion "Amerikaner sind alle doof und ungebildet" und die amerikanische linke Spontan-Reaktion "die Tea-Party ist ein gekauftes Konstrukt der Koch-Brüder" Wunderlich eigentlich, dass Lessig da nicht mehr den Bogen bekommen hat. Unter anderem fordert die Tea-Party genau das, was er vorher schon ansprach: Equality.
Heise war auch da.