Donnerstag, 3. Februar 2011

Dschungelcamp vs. Romeo und Julia

Romeo und Julia (Ballett von Prokofjew, Nordharzer Städtebundtheater) gegen Ich bin ein Star (RTL).

Der Vergleich hinkt: eine der aufwendigsten Produktionen des deutschen Privatfernsehens gegen ein eingespartes Stadttheater. Eines der größten Dramen der Menschenheit gegen Schmierentheater. Liebe, Leben, Drama hochverdichtet auf zwei Stunden oder in Belanglosigkeit ausgelatscht über zwei Wochen. Eine glatte Aufführung gegen die Inszenierung in der Inszenierung in der Inszenierung, 150 Zuschauer gegen 8 Millionen. Dramatische Brückenkonstruktionen im Urwald gegen einen wenig bemerkenswerten Theatersaal. Aber andererseits: bei beiden ging es um Drama, Aufregung, Gefühle, also alles. Und sowohl Ballett wie Fernsehen waren großes Kino.

Musik: Weniger klar als man denken sollte. Ich bin ein Star hat für deutsches Privatfernsehen eine ungewöhnlich gute und kreative Musikauswahl. Den Soundtrack zur Sendung hätte ich gerne selber, die Musik war passend und ungewöhnlich. Das Nordharzer Städtebundtheater hingegen hat kein Orchester, so dass es die Begleitmusik auf Band gab. Nichts gegen die Aufnahme, aber der fehlende Vor-Ort-Charakter fiel mir doch desöfteren eher schmerzhaft auf. Trotzdem: letztlich war es ein Duell Prokofjew gegen Deichkind. Klarer Sieg für Romeo und Julia.

Schöne Menschen: Das durchschnittlichste was heutige Schönheits-OPs anzubieten haben gegen die Bühnenpräsenz eines Ballettensembles. Das ist nun wirklich so eindeutig wie die Musik eigentlich sein sollte.

Meta-Ebenen: Langsam gibt es auch etwas für das Dschungelcamp zu sagen. Während Romeo und Julia da eher glatt war, und gar nicht erst mit Meta-Ebenen anfing, hatte RTL die Inszenierung in der Inszenierung gegen die Inszenierung. Schauspieler inszenieren sich, RTL geht mit und dramatisiert, dann plötzlich Tofugate, die Situation kippt, zwei Tage überrollen die Verhältnisse die Inszenierungen und danach inszeniert RTL gegen die Inszenierung der Teilnehmer. Ganz groß. Camp meets Herr der Fliegen. Vermutlich in der Konstellation nicht wiederholbar, aber einer der großen Momente des deutschen Fernsehens.

Kostüme und Kulisse: Die Kostüme.. oh je. In Quedlinburg gab es eine Theaterkritik, die meinte, die Kostüme wirkten ein bißchen als wären sie aus einer Freischütz-Inszenierung 1961 übrig geblieben. Ich dachte ja an "tschechischer Märchenfilm versucht und eindrucksvoll gescheitert", das hatte wenig Schmiss und wirkte doch eher altbacken. Wobei die formlosen Dschungelcamp-Jacken auch nicht besser waren. Während die Bühne beim Ballett aber die verkorkste Kostümierung aufnahm, gab es im Fernsehen hohe Bäume, reißende Flüsse, Abgründe, spektakuläre Brücken, Tiere, Sensationen. Klarer Sieg für RTL.

Drama: Beides mit Höhen und Tiefen. Das Dschungelcamp hatte viel Zeit zu füllen, und die sehr gute konsenquente professionelle Drama-Ausschlachtung jedes Klogangs schwankte zwischen sehr unterhaltsam und ärgerlich. Glücklicherweise musste RTL aber auf die totale Kontrolle verzichten. Sarah Knappik irrlichterte zwar überfordert aber doch unkontrollierbar durch die Kulissen. Die Nacht in der Peer Kusmagk weinte, war wie schon erwähnt, ganz großes Fernsehen. Und dabei zuzusehen, wie mäßig sympathischen Leuten ihre Inszenierung desaströs aus den Händen gerät, ist voyeuristisch, aber ein lohnendes Erlebnis.

Auch das Ballett hatte im Bereich Drama Höhe und Tiefen: Bei der Teenage-Liebesgeschichte musste ich doch manchmal an die murmelnden nach unten kuckenden Teenager der realen Welt denken, sowohl Julia als auch Romeo waren irgendwie unauffällig, wirkten nicht so ganz präsent. Wenn ein weinender Ex-GZSZ-Star mich mehr bewegt, als eine sterbende Julia, läuft was falsch. Andererseits waren die anderen Rollen superb besetzt. Gräfin Capulet war beim Gehen deutlich dramatischer als ein Dschungelcampbewohner der sich an Lianen und dabei mit Schlangen kämpft schwingt, Tybalts souveräne Arroganz würde jede Katze zu Tränen beschämen, Mercutio sprang über die Bühne wie der frühe Sommer.

Unentschieden.

Feuerwehrfaktor: das Nordharzer Städtebundtheater hatte einen Vorsichsfeuerwehrmann in Galauniform anwesend und ein schönes handgeschriebenes Schild im Foyer: "Feuerwehr anwesend."

Gesamt:
Knapper als gedacht, aber dank der anwesenden Feuerwehr doch ein knapper Sieg für Prokofjew.

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