Donnerstag, 12. August 2010

Wikipedia muss Autoren bezahlen


In the summertime the stories are low. Nachdem der Spiegel ja nun schon sensationell enthüllt hat, dass Jugendliche halt Jugendliche sind, und vor allem ganz verschieden, ist Newsweek nachgezogen. Die haben die spektakuläre News, dass auch Wikipedianer und Andere vor allem Texte ins Netz stellen, weil sie persönlich was davon haben. Wow.

In zwei Punkten hat Newsweek recht: Wikipedia hat ein massives Problem was die freiwillige Mitarbeit angeht. Ebenso schreibt natürlich kein Mensch aus reinem Altruismus bei Wikipedia. In einem Punkt hat Newsweek heftig Unrecht: die Vergabe von Plastiktalmi aka Sternchen oder Orden wird das Problem nicht ändern. Naja, Newsweek selbst ist ja auch grad an dem Punkt, an dem die DDR 1989 war.

Trotzdem bleibt: Wikipedia ist das MySpace des Internetengagements. Die Autoren gehen, die guten Autoren noch viel eher. Die Zahl der halbwegs lesenswerten neuen Artikel sinkt, Nachwuchs gibt es fast keinen. Ein existenzbedrohendes Problem ist das sicher noch nicht. Die bereits vorhandene inhaltliche Substanz ist viel zu stark. Praktischerweise haben Autoren und Redakteure sie auch noch auf zeitlosigkeit getrimmt. Trotzdem ist die Gefahr imminent, weil Wikipedia sich in einer Abwärtsspirale befindet: die Leute, die gehen, werden nicht adäquat ersetzt, adäquater Ersatz hingegen schaut sich Wikipedia an, und spielt dann doch lieber Farmville, weil das intellektuell herausfordernder ist.



Das ist jetzt kein alleiniges Wikipedia-Problem, sondern findet sich auch in zahlreichen anderen Organisationen. Paul Graham hat beispielsweise jetzt gerade den ganzen Prozess sinnvoll unter dem Titel beschrieben: "What happenend to Yahoo"; das Szenario ist überraschend ähnlich. Bei Yahoo führte einfach zu erlangendes Geld dazu, viel zu lange aufs falsche Pferd zu setzen, das zwar wenig mit Yahoos Kompetenten zu tun hatte, aber dafür Geld brachte. Da bin ich mir im Wikipedia-Fall noch nicht klar welche Rolle Geld spielt. Aber zumindest läßt sich beobachten, dass bei den Wikimedias mittlerweile verhältnismäßig große Mengen einfachen Geldes ankommen und davon erstaunlich wenig in die Kernkompetenz - Erstellung freier Inhalte - geht.

Zum anderen scheiterte Yahoo an der falschen Kultur: zu wenig Wertschätzung für die Technik. Nun sind Autoren keine Programmierer, aber meiner Erfahrung nach funktionieren Wikipedia-Autoren sehr ähnlich wie Hacker. Wo der Hacker guten Code möchte und keine Einmischung von Leuten, die es nicht können, da möchte der Wikipedianer guten Text.

Dabei, diesen Geist zu erkennen, hat Newsweek in seiner Problemanalyse Unrecht. Talmi/Orden/Sternchen helfen nichts, weil man damit nur die Leute anlockt, die dann die Autoren vertreiben. Was Wikipedia den Autoren brachte war ebenso simpel wie schwer: Spaß, weniger flapsig: das Gefühlt in einer geistig anregenden Gemeinschaft Inhalte zu erstellen, von außen wertvolle Inputs zu genießen und die Anerkennung von Leuten zu genießen, vor denen man selbst großen Respekt hatte. Nada, vorbei.

Weniger, weil jemand Schuld hat, sondern weil sich langfristig fast immer die Organisatoren und Strategen und Abwäger und "Erwachsenen" und Überprüfer und Sternchenverteiler durchsetzen, die die Inhalte irgendwie als gegeben ansehen und dann anderen Leuten erzählen sollen, wie sie sich organisieren sollen. Und die, vor allem, selbst oft eher talentlos sind. Und wenn sich die erstmal durchgesetzt haben, gibt es in einem Freiwilligenprojekt den freien Fall, weil die anderen dann gehen, woraufhin ihre Freunde gehen, und noch Gehverhinderstrategen kommen etc..

Graham schlägt dann zwei Wege vor, dem Problem Einhalt zu gebieten, wenn man erstmal in der Spirale ist. Entweder man zahle mehr Geld, oder man verlasse sich darauf, dass die Leute keine Alternativen haben. Vom letzteren lebt Wikipedia schon länger, aber als langfristige Lösung erscheint mir die Strategie doch sehr risikobehaftet.

Ein dritter Weg fiele mir auch noch ein: Reputation/Ruf/Werbung für den Autor selbst. Der Weg allerdings ist der eingeschränkt gangbar, da Wikipedia selbst inhaltlich ja einen wechselvollen Ruf hat. Außerdem müsste WP selbst dann auch nach außen mit der Lebenslüge aufräumen, dass jeder irgendwie mitmachen kann, schreiben und die Aufbereitung von Sachverhalten weder Talent noch Training sondern einfach nur guten Willen brauchen. Für den Anfang also beispielsweise endlich mal beim Artikel selbst ausweisen wer ihn geschrieben hat und wer für welche Teile verantwortlich ist.

Die zwangsverpflichtung von Studenten, laut Newsweek gerade das Mittel der Wahl der Wikimedia Foundation, dürfte zu den Ergebnissen führen, die sich mit Zwangsarbeit halt erreichen lassen: Brauchbar für den Leser, aber sicher kein Grund, freiwillig etwas zu machen. Also bleibt die andere Möglichkeit: Geld. Zugegeben, Autoren sind billiger als Programmierer. Aber selbst die 20 Dollar von Demand Media für einen Artikel wären schon Welten von dem entfernt, was es jetzt gibt.

4 Kommentare:

snotty hat gesagt…

"in einer geistig anregenden Gemeinschaft"

im internet (und nicht nur dort) scheint es ein kernproblem jeder community zu sein, genug zulauf zu haben um sinnvoll arbeiten zu können, aber nicht mehr.

die wikipedianeulinge früherer jahre trafen auf eine community, in der es zwar seltsame gestalten gab, die aber im grossen & ganzen zumindest als kompetent zu bezeichnen war - bei vielen die heute mitmachen wünscht man zynga inständig rasenden erfolg.

der eierlegende wollmilchwikipedianer dürfte ein wesen jener vergangenen zeit sein, heute gibt es woll- milch- und eierspezialisten. weil aber das heilige prinzip der flachen strukturen gilt, glauben die wollexperten sie müssten dringend empfehlungen zum eierlegen aussprechen.

damit es ganz lustig wird haben die ganz grossen communities dann auch noch die trollgruppe, die die produktion jeglicher wollmilcheier eigentlich ablehnt.

geistig anregende gemeinschaften schauen anders aus....

HaeB hat gesagt…

Könnte auch nach hinten losgehen.

dirk franke hat gesagt…

Klar könnte es anders aussehen, und ein Erfolg ist nicht garantiert. Soweit ich da - oberflächlich - die Theorie kenne, scheint es vor allem darum zu gehen, dass der externe Anreiz groß genug ist, um die moralisch negativen Folgen eines solchen Arrangements auszugleichen.

Und vermutlich könnte man mit Strukturveränderungen auch einiges erreichen. Aber wer soll die umsetzen wenn die Leute entweder seit Jahren glücklich in den derzeitigen Strukturen leben oder kaum noch da sind.

Tolanor hat gesagt…

wobei man die tatsache, dass langjährige autoren weggehen, auch schlicht damit erklären könnte, dass die meisten menschen irgendwann etwas neues brauchen und das alte hinter sich lassen. vielleicht ist das problem eher, dass die wikipedia die alten autoren, die eigentlich gar keine lust mehr haben und hauptsächlich schlechte laune und "früher war alles besser"-stimmung verbreiten, verzweifelt zu halten versucht, anstatt ein offenes klima zu schaffen, in dem sich neue leute wohlfühlen.